Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
Widerspruch liegt darin«, gab er zu bedenken, »dass Sie ein einerseits sehr beschränktes und andererseits sehr vielfältiges Angebot planen. Wer heutzutage Erfolg haben will, muss sich entscheiden. Um einen Coup zu landen, konzentriert man sich entweder auf ein Produkt, hinter dem die Leute her sind, wie im Augenblick in Asien hinter Crème de Cassis, oder aber man bietet eine sehr breite Auswahl an wie beispielsweise im Ikea-Katalog oder – hier wohl das beste Beispiel – wie Amazon, das Hunderttausende von Büchern aller Art und für jeden Geschmack bietet. Sie aber entscheiden sich nicht: Sie sind klein und vielfältig. Das geht nicht. Das ist wie ein Gespann mit zwei Pferden, von denen jedes in eine andere Richtung zieht. Der Singular im Namen der Buchhandlung ist schon eine Aussage: Der gute Roman . Man vermutet ein einfaches Angebot und steht vor einer sehr komplexen Auswahl.«
»Wir hatten nie die Absicht, einen Coup zu landen«, sagte Van.
Er fand Doultremont rechthaberisch und die Kategorien, in denen er dachte, reichlich vage.
»Ich bin mir nicht sicher, dass man Einfaches und Vielfältiges unbedingt als Gegensatz sehen muss«, sagte er ruhig. »Unsere Buchhandlung ist eher mit einem Modeschöpfer vergleichbar, der genug hat von formloser, düsterer Kleidung und stattdessen eine Kollektion heiterer, eleganter Modelle entwirft.«
»O nein«, widersprach Doultremont bestimmt. »Anders als bei Ihnen passen alle seine Kleider zusammen, sie harmonieren miteinander. Er hat das, was man Stil nennt. Bei Ihnen steckt unter dem, was wie ein Sortiment aussehen soll, ein wildes Durcheinander von Büchern, von denen jedes sich grundlegend von allen anderen unterscheidet. Ihre Produkte haben keine Gemeinsamkeit.«
»Unsere Gläser sind leer«, mahnte Francesca leise.
Doultremont schenkte Wein nach und fuhr fort: »Nicht nur sind Sie nicht die Ersten, die eine Buchhandlung eröffnen, Sie haben sich auch noch auf eine Branche verlegt, die es schwer hat und in der viele aufgeben.«
»Sie wollen aber doch nicht behaupten, das Buch habe ausgedient?«, protestierte Van.
»Keineswegs. Ich sage nur, Ihr Geschäft gehört zu einer längst überholten Vergangenheit.«
»Haben wir jemals nur ans Geschäft gedacht?«, mischte sich Francesca ein.
»Das habe nicht ich gesagt«, bemerkte Doultremont, der sich nur noch an Ivan wandte. »Francesca dürfte es Ihnen gestanden haben, keiner der Experten, mit denen ich sie bekannt gemacht habe, würde auch nur einen Sou auf Ihren Erfolg setzen.«
Ivan war überrascht.
»Marketing- und Promotionexperten?«, fragte er in einem Ton, als spräche er von einem gemeingefährlichen Dr. Seltsam.
»Ja, genau«, antwortete Doultremont, dem die Ironie entgangen war.
Van lehnte sich zurück und hob beide Hände.
»Ich gebe zu, weder Francesca noch ich verstehen auch nur das Geringste vom Verkauf und vom Geschäftlichen«, sagte er. »Unser Vorhaben ist radikal. Eine Revolution der kulturellen Sitten. Alle Welt ist heute der Meinung, es würden zu viele überflüssige Bücher veröffentlicht. Dieses Phänomen betrachten wir als geistige Umweltverschmutzung, deshalb sagen wir einfach: Es reicht! Hören wir auf, uns unseren Geschmackssinn abstumpfen zu lassen. Sorgen wir für frische Luft. Atmen wir. Wir glauben, wir haben gute Chancen, Gleichgesinnte zu finden.«
Er lächelte.
»Aber Sie bringen mich da auf etwas. Was wir bewirken wollen, hat sich beim Rauchen schon ereignet, und zwar auf ebenso spektakuläre wie unerwartete Weise. Seit das Zigarettenrauchen die breiten Schichten erreicht hat, seit, sagen wir, fünfzig oder sechzig Jahren, weiß jeder Raucher, dass er sich selbst vergiftet. Es gab so viele Kassandra- und Warnrufe, vergeblich. Und mit einem Schlag rüttelt in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts irgendetwas, kein Mensch weiß, was, die Masse der Raucher auf, eine Welle geht um die Erde, alle beschließen, das Rauchen aufzugeben. Es geht schnell. Eine Art Öffnung des Bewusstseins. Man gibt zu, dass Rauchen schädlich ist und insgesamt nur wenig Spaß bringt.
Wir glauben, dass sich im Hinblick auf die Literatur eine ähnliche Bewusstwerdung ereignen könnte. Und dass Der gute Roman in der kleinen Rue Dupuytren in Paris diese Umwälzung auslösen kann.«
»Ich bin mit allem einverstanden, was Ivan gerade dargelegt hat«, sagte Francesca, »aber ich persönlich habe das alles nie in einem so großen Rahmen gesehen. Ich glaube einfach, dass es in einer Stadt wie
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