Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman

Titel: Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Cossé
Vom Netzwerk:
bemerkenswerte Novelle von Paulhan, Fortschritt des Herzens. Albert und Rose mögen sich auf Anhieb, sie fallen gleich ins Bett, und dann ändern sich die Zeiten, sie entfernen sich voneinander und brauchen schließlich Jahre, um wieder zueinander zu finden. Van hatte den letzten Satz noch im Gedächtnis. Albert versucht, Rose bei der Hand zu nehmen, doch Rose protestiert: »Aber mein Freund, mein Freund, was haben Sie mit mir im Sinne?«
    Tausend Tage, das waren mehr als drei Jahre. Van kam der Gedanke, Anis eifersüchtig zu machen und all die liebeshungrigen Frauen zu erwähnen, die Paris bevölkerten. Vor seinem inneren Auge sah er Sarah Petit Pois, quecksilbrig und sexy, und Marie Noirs schwere, vulkanische Lava.
    »Woran denken Sie?«, fragte Anis.
    »An Frauen, gewisse Frauen, die es eilig haben in der Liebe«, sagte Van und versuchte einen verzweifelten Ton anzuschlagen, der ihm jedoch, wie er bemerkte, eher bitter geriet.
    »Das sind Frauen, die von den Männern nicht geliebt werden«, sagte Anis sehr ruhig. »Wollen wir nicht etwas zu Abend essen? Haben Sie keinen Hunger? Ich habe seit gestern nichts gegessen.«
    Van schlug das Centre Pompidou vor.
    »Es ist ein bisschen weit, aber vom Restaurant im sechsten Stock aus hat man eine der schönsten Aussichten auf Paris, finde ich, man sitzt weder zu hoch noch zu niedrig.«
    »Das kann ich mir bestimmt nicht leisten«, sagte Anis.
    »Ich lade Sie natürlich ein.«
    Sie seufzte.
    » I would prefer not to. Ich habe noch nie einen Jungen erlebt, der ein Mädchen einlädt, ohne irgendwelche Gegenleistungen zu erwarten.«
    »Sie verletzen mich«, sagte Van. »Ich habe keineswegs die Absicht, Sie zu kaufen.«
    »Wieso sollte ich Ihnen glauben?«
    »Wie sollte ich Ihnen mein interesseloses Wohlgefallen beweisen, wenn nicht dadurch, dass ich Sie so oft verwöhne, wie Sie es mir erlauben. Ich habe eine Idee. Sie erlauben mir, Sie ab und zu zu einem Kaffee einzuladen, Ihnen ein Gedicht oder ein Blumensträußchen zu schicken, und jedes Mal, wenn ich Ihnen etwas schenke, betrachte ich Sie und betrachten Sie sich als noch ein Stückchen freier; wir werden wissen, dass Sie noch freier sind.«
    »Ich suche nach dem Haken«, sagte Anis gedankenvoll.
    »Es gibt keinen! Meine Ehre darauf, dass Sie keinen finden!«
    Vans Miene verfinsterte sich.
    »Aber ich bin ja dumm. Sicher wäre es Ihnen lieber, ich würde Ihnen versichern, dass ich Ihnen das größtmögliche Interesse entgegenbringe. Und das wäre nur die Wahrheit.«
    Sie aßen in einer tibetischen Kneipe in der Rue des Fossés-Saint-Jacques. Anis hatte sie ausgesucht, weil sie absolut keine Ahnung hatte, was man am Himalaja aß.
    »Ich habe auch keine Ahnung«, sagte Van, als er sich ihr gegenüber hinsetzte. »Wir gehen da unüberlegt Risiken ein. Was sollen wir tun, wenn es hier nur Tee mit Yakbutter zu trinken gibt?«
    »Dann machen wir es wie Tim und Struppi«, sagte Anis. »Entweder man liebt das Abenteuer oder nicht. Wir werden ihn probieren.«
    Sie nahmen das ziemlich normal schmeckende chinesische Bier und schwer identifizierbare geschmorte Gemüse. Ivan erzählte ein wenig von der asiatischen Küche. Er hatte eine Vorliebe für thailändisches Essen.
    Dann nutzte er eine Gesprächspause. »Und wie ist Ihre Arbeit?«
    »Es geht«, sagte Anis.
    Van zählte stumm bis drei.
    »Was ist es eigentlich genau?«
    Anis sah ihm voll ins Gesicht.
    »Ein Job in der Lebensmittelbranche.«
    Van beschloss, keine weiteren Fragen zu stellen. Er war schon so weit gekommen, Anis’ Wünsche nicht infrage zu stellen, keine Initiativen mehr zu ergreifen und nichts mehr zu erwarten, denn er hätte ohnehin nicht mehr gewusst, was. Allerdings war er sich nicht ganz sicher, ob das nun wirklich die reine Liebe im spirituellen Sinne war.
    Er ging zu Fuß von der Rue des Fossés-Saint-Jacques in die Rue de l’Agent-Bailly zurück. Inzwischen hatte er wohl schon fünfzehn Kilometer hinter sich. Er spazierte langsam und ließ sich Anis’ Sätze wieder und wieder durch den Kopf gehen. Wie ruhig sie das gesagt hatte: Männer mögen die Frauen nicht, die es eilig haben in der Liebe. Und mit welcher Überzeugtheit.
    Plötzlich hatte Ivan das Gefühl, ihm flögen Stöpsel aus den Ohren. Mit genau diesen Worten beschrieb er es mir. Er blieb abrupt stehen. Diese Überzeugtheit klang falsch. Sie klang nach einer Frage: Mögen Männer nicht die Frauen lieber, die nichts überstürzen? Was für ein Idiot er gewesen war! Anis erwartete, dass er sie

Weitere Kostenlose Bücher