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Der Zauber des Engels

Der Zauber des Engels

Titel: Der Zauber des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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für ein Chorkonzert in der St. Andrew’s Hall in Norwich im März 1963. Auf der Titelseite stand der Name Angela Beaumont. Fieberhaft blätterte ich weiter, bis ich auf die Biografien der Solisten stieß. Und dann sah ich ihr Bild, es war dasselbe wie in meinem Schlafzimmer. Gedankenverloren saß ich eine Zeit lang nur da. Meine Mutter war Sängerin gewesen. Das hatte mein Vater mir nie erzählt. Oder hatte er es getan, und ich hatte es nicht verstanden? Ich erinnerte mich, dass er einmal gesagt hatte, mein musikalisches Talent käme nicht aus seiner Familie. Aber hatte er gesagt, es käme aus der Familie meiner Mutter?
    Ich las die biografischen Angaben:
    Angela Beaumont (Alt) war Stipendiatin am Royal College of Music. Sie studierte zusammen mit Nerys Sitwell und gewann verschiedene Auszeichnungen, darunter den College Song Recital Prize sowie den Preis der Princess-Isabella-Stiftung. In den letzten Jahren hat sie in Großbritannien in zahlreichen Oratorien und Konzerten mitgewirkt …
    Es folgte eine lange Liste mit Chören, in denen sie gesungen, und besondere Auftritte und die Einspielungen, bei denen sie mitgewirkt hatte. Eine sehr eindrucksvolle Liste für eine Frau, die damals erst acht- oder neunundzwanzig Jahre alt gewesen sein konnte und deren Karrierehöhepunkt noch bevorstand.
    Sie hatte ihn nie erreicht.
    Ich las das Programm noch einmal genauer. Unter anderem war das Magnificat von Bach darunter, etwas von Händel und Haydn. Ich stellte mir vor, wie sie unter lautem Applaus strahlend die Bühne verließ, ihre Schminksachen zusammenpackte, sich das Haar bürstete und das Programmheft rasch in ihren Koffer steckte, ehe sie zur After-Show-Party eilte oder einfach nur zum nächsten Zug, der sie zurück zu Dad nach London brachte.
    Wie hatte Dad in ihr Leben gepasst? Der gute alte Dad, der zu Hause in seinem Laden saß und mit den Händen schöne Dinge machte. Wo mochten sie sich kennengelernt haben, und was hatte sie zueinandergezogen? Meine Mutter war lebhaft, leidenschaftlich gewesen. Und Dad? Ich hatte Fotos gesehen, auf denen er noch jung war, sie waren in den späten 1950er-Jahren auf einer Reise zu einigen französischen Kathedralen entstanden. Er wirkte darauf groß, ernst, schüchtern, gut aussehend, kultiviert. Vielleicht würde ich es nie mehr erfahren, nun, da Dad so krank war und im Sterben lag. Aber ich musste es einfach wissen.
    Dads Dokumentenmappe lag neben mir auf dem Fußboden. Ich hatte leichte Gewissensbisse, aber ich öffnete sie trotzdem und zog eine Kladde nach der anderen heraus. Sein Testament. Ich blätterte es rasch durch. Bis auf eine großzügige Summe für Zac hinterließ er alles mir. Ich freute mich für Zac, denn das hatte er verdient. Die Patientenverfügung und die Vollmacht kannte ich ja bereits. Ich steckte sie zurück und wandte mich der nächsten Kladde zu. Sie enthielt Dads Führerschein und seinen Pass, der längst abgelaufen war; ein paar Unterlagen seiner Krankenversicherung, Bankunterlagen, Zeugnisse und Sparbücher. Er hatte seinen Ordnungssinn auch ins Alltagsleben übertragen. Sämtliche Dokumente, die mit seinem Geschäft zu tun hatten, musste er an einer anderen Stelle aufbewahrt haben. Ich fand seine Heiratsurkunde – und las zum ersten Mal die Namen meiner Großeltern mütterlicherseits: John und Lily Beaumont.
    Hastig zog ich die übrigen Mappen heraus, blätterte durch meine alten Schulzeugnisse und Schwimmurkunden, die Taufurkunde, die von einem Pfarrer von St. Martin’s unterzeichnet war. Ich legte alles auf einen Stapel – schließlich waren das meine Dokumente. Nun war nur noch eine einzige Kladde übrig. Ich zog sie heraus und stellte enttäuscht fest, dass sie sehr dünn war. Als ich sie aufschlug, flatterten ein paar Zeitungsausschnitte zu Boden. Ich hob einen von ihnen auf. Es war ein Nachruf meiner Mutter aus dem Daily Telegraph . Ich begann ihn zu lesen, aber alles in meinem Kopf drehte sich so, dass ich nichts verstand und von vorne anfangen musste. Die Information kannte ich aus dem Programm. Man lobte den reichen und vollen Klang ihrer Stimme; außerdem stand dort geschrieben, dass sie nach einem Verkehrsunfall im Krankenhaus gestorben war.
    Ein weiterer Nachruf, diesmal aus der Times , verglich ihre Stimme mit der von Kathleen Ferrier, andere, zumeist von musikalischen Fachzeitschriften, waren ebenfalls voll des Lobes. Es gab sogar einen kurzen Artikel aus Deutschland. Die Worte »wunderbar!« und »Alt« in der ersten Zeile konnte ich

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