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Der Zauber des Engels

Der Zauber des Engels

Titel: Der Zauber des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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Montag hatten wir im Chor die Passage über Gerontius’ Todesstunde gesungen, in der der Priester und seine Messdiener weinend singen: »Tritt nun deine letzte Reise an … Geh im Namen der Engel und der Erzengel.« Als ich jetzt in Dads lebloses Gesicht blickte, konnte ich den Chor wieder hören. Wir sagen, dass die Toten »in Frieden ruhen«. Aber was wäre, wenn Dad, ähnlich wie Gerontius, nach seinem Tod eine große Reise machte? Vielleicht war er noch nicht bereit, in Frieden zu ruhen. Ich betete, dass es eines Tages so weit sein würde.
    Irgendwann sprach ich mit Jeremy darüber. Er schien ähnlich zu denken wie ich. »Glauben Sie, dass er meine Mutter wiedersehen wird?«, fragte ich ihn.
    »Oh ja, davon bin ich überzeugt.«
    »Sie werden sich sicher viel zu erzählen haben.«
    »Allerdings.«
    »Ich glaube, anfangs werden sie ganz schön sauer aufeinander sein.«
    Jeremy lächelte. »Ja, aber ich schätze, dieses Mal wird ihnen nichts anderes übrig bleiben, als sich zusammenzuraufen und ihre Probleme zu klären.«
    Nur wenige Trauergäste waren am darauffolgenden Mittwoch im Krematorium versammelt: Zac, Sarah, Anita, Mr. Broadbent, der Buchhändler, ein Angestellter von Dads Notar und ich. Jo konnte nicht kommen, und an der Orgel saß nicht Ben, weil er an diesem Tag in der Schule unterrichtete. Doch trotz dieser eher kleinen Trauergemeinde und der anonymen Umgebung schaffte es Jeremy, die Abschiedsfeier für Dad ganz besonders zu machen. Seine eigene Trauer um den Verlust seines Freundes berührte uns alle.
    »Setz deinen Weg fort. Mögest du ewigen Frieden finden«, sagte er, als sich die Vorhänge um den Sarg schlossen.
    Anschließend standen wir draußen frierend zusammen und starrten auf die Kränze und Blumen, die vor uns im Gras lagen. Nur ein Gebinde war fremd. Es war ein einfacher Strauß Chrysanthemen von Amber. Als ich ihre bewegenden Worte las, schossen mir die Tränen in die Augen. Möge dein Engel dich sanft nach Hause geleiten.

37. KAPITEL
    Ab und zu, wenn der Raum ansonsten lichtlos war
Erschien eine vage graue Gestalt und setzte sich auf diese Bank im Alkoven
Es war die zarte und melancholische Figur eines Engels.
    Tennessee Williams, One Arm and Other Stories
    In den wirren Tagen nach Dads Tod trafen Zac und ich uns regelmäßig. Ich hatte Unmengen von Papierkram zu erledigen, und er half mir dabei. Wenn ein Tag verging, an dem wir uns nicht sahen, rief er abends an, um zu hören, ob es mir gut ging.
    Und dann rief er mich eines Tages Ende November nicht an, und er fehlte mir. Ich erinnerte mich daran, dass er am Tag zuvor, als wir einige finanzielle Dinge geregelt hatten, blass und nachdenklich gewirkt hatte. Daher griff ich dieses Mal zum Telefon, um mich nach ihm zu erkundigen. Es klingelte lange, dann hörte ich ein heiseres »Ja?«
    »Zac? Zac, ich bin’s.«
    »Moment mal. Autsch.« Ich hörte ein Rascheln.
    »Rufe ich zu einem ungünstigen Zeitpunkt an?«
    »Ich habe geschlafen. Bin nicht so schnell aus dem Bett gekommen. Ich glaube, ich habe die Grippe oder so was.«
    Am frühen Nachmittag rief ich ihn erneut an. Dieses Mal klang er noch schlimmer.
    »Ich komme vorbei«, entschied ich und ignorierte seine Proteste. Seltsam, dass ich ihn noch nie zu Hause besucht habe, dachte ich, ehe ich rasch in den Supermarkt lief, um ein paar dringend notwendige Dinge zu besorgen.
    Der Name Burberry Mansions ließ mich an großzügige edwardianische Wohnhäuser denken wie das von Jos Eltern, aber Zacs Wohnung befand sich in einem schäbigen Mietshaus. Mit dem altersschwachen Aufzug fuhr ich in den siebten Stock, klopfte an Tür Nr. 72 und wartete, wie mir schien, eine kleine Ewigkeit auf dem zugigen Betonflur.
    Endlich öffnete Zac die Tür. Er sah schrecklich aus. Die Haare standen in alle Richtungen ab, sein Gesicht war fleckig, die Augen blutunterlaufen. In der Wohnung roch es streng; es war warm und stickig. Ich folgte ihm in sein Wohnzimmer.
    Ich brauchte eine Weile, bis ich begriff. Wir waren in einen schillernden Regenbogen des Lichts getaucht. An fast allen Fenstern hingen Glasbilder. Eines bestand aus Blau- und Grüntönen in einem durchgängigen Muster. Auf einem anderen schwammen Wassernymphen in einem geheimnisvollen Fluss aus Braun- und Bernsteintönen, in dem Blaufische blitzten; aus einem runden Bild, das von der Decke herabhing und sich langsam drehte, trat die silberne Silhouette eines Hirschs aus einem blauen Nebel. Ich machte einen Schritt auf einen riesigen Spiegel zu,

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