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Der Zauber des Engels

Der Zauber des Engels

Titel: Der Zauber des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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Lichtstrahl traf. Sie atmete tief ein und senkte den Blick. Das Buch, erkannte sie nun, war ein Skizzenbuch.
    Sie schüttelte hastig den Kopf. »Nein, nein, Sie stören mich gar nicht. Haben Sie die Kirche gezeichnet? Darf ich mal sehen?«, brach es neugierig aus ihr heraus.
    Er blieb stehen, schaute sie zögernd an, dann wieder auf das Buch, schien unentschlossen abzuwägen. »Ich sammle nur Ideen für einen bestimmten Auftrag«, antwortete er schließlich, »ein paar erste Skizzen.«
    Er trat ganz ins Licht. Beinahe hätte sie mit offenem Mund nach Luft geschnappt, so gut sah er aus. Das goldbraune Haar und der Schnurrbart ließen seine Haut blass wirken; als ihre Blicke sich trafen, sah sie, dass in seinen haselnussbraunen Augen grüne Sprenkel funkelten. Er öffnete das Buch, und sie blickte auf die Seite, die er ihr zeigte. Die Bleistiftzeichnung eines Bogenfensters mit den Umrissen einer Figur war durchgestrichen und mit Kritzeleien versehen.
    »Du liebe Güte, Sie müssen … Mr. Russell sein«, sagte sie. Ihr Vater hatte den Namen schon mal erwähnt. »Der Künstler, der die Entwürfe für unsere Fenster macht.«
    »Das bin ich tatsächlich«, antwortete er. »Und Sie sind …?«
    »Die Tochter von Reverend Brownlow«, erklärte sie hastig. »Miss Laura Brownlow.«
    »Nun, dann ist dies ja ein überaus glücklicher Zufall, Miss Brownlow.« Seine Hand schloss sich kurz um ihre Rechte; trotz des Handschuhs spürte sie, wie warm er sich anfühlte.
    »Das ist mein erster Besuch in dieser Kirche«, sagte Mr. Russell. »Ich schaue mir gerne vorher alles an und lasse die Umgebung auf mich wirken, ehe ich mit der Arbeit beginne.«
    Sie stellte sich vor, wie er wie eine Steinstatue im Halbdunkel stand, schaute und horchte.
    Da sie nichts sagte, fuhr er fort: »Ich finde es wichtig, die Kirche zu verschiedenen Tageszeiten zu betrachten. Nur so sehe ich, wie das Licht auf die Fenster fällt.«
    Laura nickte. »Ich verstehe.«
    »Natürlich schaue ich mir auch die verschiedenen Farben in der jeweiligen Kirche an und versuche mir vorzustellen, was am besten dazu passt – ein tiefes Rubinrot zum Beispiel oder silbriges Weiß.«
    »Und was stellen Sie sich für diese Kirche vor?«
    »Der Kalkstein verlangt weiche Farbtöne. Nichts zu Grelles.«
    »Ich nehme an, Sie schauen sich vorher auch die Fenster an, die es schon gibt?«
    »Oh ja. Das hier über dem Altar ist besonders schön. Es stammt von Mr. Kempe. Sehen Sie dieses Zeichen, die Weizenbündel, versteckt in der Ecke, links von Maria Magdalena? Das ist seine Signatur.«
    Er machte einen Schritt nach vorn. Rotes, blaues und grünes Licht fiel nun auf ihn, als sollte er gesegnet werden.
    Auch Laura trat in den Farbregen, ließ den Blick der Linie seines ausgestreckten Fingers folgen und nickte. »Das ist mir vorher noch nie aufgefallen.« Der Ärmel seines Mantels war ein Stück hochgerutscht, und die Tatsache, dass die Manschette seines Hemds ziemlich ausgefranst war, berührte sie seltsam. Allerdings verwandelte das flirrende Licht die Faser in etwas Kostbares.
    »Haben Sie auch so eine Signatur, Mr. Russell?«, fragte sie und sah ihn mit festem Blick an.
    Er lächelte, dann zog er geschickt die Schöße seines Mantels hoch und setzte sich in die erste Bank. Er war Linkshänder, wie sie registrierte, seine Finger bogen sich wie die Scheren eines Krebses, als er zeichnete. Ein paar rasche Bewegungen, dann war er fertig. »Ich benutze meist diese hier«, sagte er und reichte ihr das Skizzenbuch.
    Laura betrachtete das komplizierte Knotenmuster auf dem Papier, drehte es herum. »Es ist von allen Seiten gleich«, stellte sie erstaunt fest.
    »Und ich kann es zeichnen, ohne den Stift vom Papier zu nehmen«, erklärte er. »Man findet dieses Muster auf alten keltischen Kreuzen, allerdings ist das hier meine eigene Erfindung. Der Gedanke der Unendlichkeit fasziniert mich.«
    Verliere nie den Blick auf die Unendlichkeit … Die tiefe, ernste Stimme ihres Vaters beim Lesen des alten Gebets hallte in Laura wider.
    »Mich auch«, antwortete sie feierlich. »Sie erinnert einen an die wichtigen Dinge im Leben, an das, was wir verloren haben und das nun jenseits dieser Welt bis in alle Ewigkeit weiterlebt.«
    Eine Zeit lang schwiegen sie beide. Laura dachte an ihren Bruder Ned, einen kleinen Jungen, der in Ewigkeit lachend durch einen grünen Garten laufen würde. Woran Mr. Russell wohl dachte? Sein Gesicht war angespannt, und seine Halsschlagader pochte heftig. Rasch schaute sie

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