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Der Zauber des Engels

Der Zauber des Engels

Titel: Der Zauber des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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kaum.
    Auf Zehenspitzen lief Laura das Mittelschiff hinauf, ihr Rock streifte die Kirchenbänke. Am Altar mit dem neuen goldbestickten Tuch verbeugte sie sich kurz, bekreuzigte sich und kniete sich dann unbeholfen in die erste Kirchenbank. Den Blick fest auf die Kreuzigungsszene vor sich gerichtet, versuchte sie die sich überschlagenden Gedanken in ihrem Kopf so weit zu beruhigen, dass sie beten konnte.
    Zwei Monate nach seinem ersten Antrag hatte Mr. Bond erneut darum gebeten, sie allein sprechen zu dürfen, und hatte um ihre Hand angehalten. Dieses Mal war er unverblümter gewesen und hatte seine Liebe zu ihr mit einer Leidenschaft erklärt, die sie ihm nie zugetraut hätte. Wie hatte sie solche Gefühle in diesem spröden, ernsten Mann wecken können, sie, die doch immer schlicht, ja beinahe schäbig gekleidet war, blass und ohne Harriets offene Koketterie oder Carolines goldige Zerbrechlichkeit? »Du bist sehr hübsch«, hatte die Mutter ihrer geliebten ältesten Tochter häufig versichert, aber Lauras winziger Spiegel verriet ihr die Wahrheit. Sie besaß die Frische der Jugend und der Gesundheit – glänzendes kastanienbraunes Haar, strahlende Augen und eine beneidenswert reine Haut. Aber ihr Mund war zu breit, die Nase zu unregelmäßig und ihre Bewegungen eckig und unelegant.
    »Überleg es dir gut«, hatte ihr Vater gesagt, als er ihr angekündigt hatte, dass Mr. Bond seinen Heiratsantrag wiederholen würde. »Er ist ein anständiger Mann, und er ist gut situiert. Deine Mutter und ich wären glücklich, wenn du Ja sagen würdest. Hör ihn an, mehr verlangen wir nicht. Wir werden dich nicht bedrängen.«
    »Aber ich empfinde nichts für ihn …«
    »Die Liebe kann wachsen, mein Schatz. Mit Gottes Hilfe kann die Liebe wachsen. Wir würden eine solche Verbindung jedenfalls sehr begrüßen. Mr. Bond hat einen guten Charakter. Ich kann mich in der Pfarre auf ihn verlassen.« Trotzdem spürte Laura, dass ihr Vater nicht glücklich war. Er tätschelte ihr die Schulter, als wollte er sie trösten. Sie war verwirrt.
    »Du würdest uns fehlen, Liebes«, sagte ihre Mutter. »Aber du musst an dein Glück denken, und wir sind dankbar, dass ihr beide, du und Harriet, in der Nähe wohnen bleibt.«
    Laura betrachtete das Gesicht Marias vor sich im Fenster. Es wirkte gespenstisch blass. Maria hatte damals alles, was mit ihr geschehen war, widerspruchslos hingenommen. Welches Leben sollte sie selber wählen? Einen Mann heiraten, für den sie keine Wärme verspürte, und hoffen, dass die Liebe sich schon irgendwie einfinden würde? Oder bei ihren Eltern bleiben, sie bei ihren Sorgen trösten und ihnen bei der Arbeit behilflich sein?
    »Gibt es denn sonst niemanden, den du magst?«, hatte Harriet sie verzweifelt gefragt, als Laura sie das letzte Mal besucht hatte. Seit das Kind in die Geburtslage geglitten war, verließ ihre Schwester kaum noch das Haus.
    »Nicht so richtig«, antwortete Laura. Da war Papas junger Vikar Gilbert Osborn, der die Pfarre vor zwei Jahren verlassen hatte. Eine Zeit lang hatte es so ausgesehen, als würde er sich für sie interessieren, aber dann hatte sie plötzlich erfahren, dass er eine Cousine zweiten Grades aus Hampshire heiraten und eine Stelle in der Pfarre von deren Vater antreten würde. Es sei doch ganz offensichtlich, hatte Harriet mit all ihrer Lebenserfahrung damals gemutmaßt, dass diese beiden Ereignisse miteinander in Beziehung ständen. Wahrscheinlich hatte ihre Schwester recht, aber Laura wollte ihm einfach nichts Schlechtes unterstellen. Sie erinnerte sich an seine schönen dunklen Augen, an die warme Art, mit der er ihre nagenden Ängste um Caroline zerstreuen konnte. Nach der Nachricht über seine Verlobung hatte sie eine Woche lang still und heimlich in ihre Kissen geweint.
    Aus dem hinteren Teil der Marienkapelle hörte sie plötzlich einen Seufzer, dann Holz, das auf dem Steinboden knarrte. Dort war jemand. Laura stand auf und strich ihren Rock glatt, weil sie vermutete, dass es sich um den Küster handelte. Aber die Gestalt, die sich nun aus der Dunkelheit löste, war nicht der alte gebeugte Mr. Perkins, sondern jemand Größeres, Aufrechteres und viel Jüngeres.
    »Entschuldigung, ich wollte Sie nicht stören. Ich habe nicht gemerkt, dass jemand hier ist«, sagte der Mann mit weicher Stimme. Er machte eine kurze Verbeugung. In einer Hand hielt er seinen Hut, in der anderen ein großes Buch. Er kam auf sie zu, und sein Haar glänzte golden, als ihn ein plötzlicher

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