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Der Zauber des Engels

Der Zauber des Engels

Titel: Der Zauber des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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fließendes Wasser. Als ich es aufschlug und gegen das Liederbuch tauschte, registrierte ich, dass auf dem Umschlag mit Bleistift ein Name geschrieben stand: Beatrix Claybourne. Wegen seiner altmodischen Eleganz setzte sich der Name in meinem Kopf fest.
    »Das Stück habe ich seit Jahren nicht probiert«, sagte Ben. Aber er fing selbstsicher zu spielen an und ignorierte den einen oder anderen falschen Ton, während er flott durch die Vierundsechzigstel-Noten marschierte. Als er fertig war, lachten wir ausgelassen.
    »Okay, das muss ich also noch ein bisschen üben. Kann ich irgendwas anderes für dich spielen?«
    »Was probst du denn im Moment?«, fragte ich zurück. »Irgendwas für eine Aufführung vielleicht?«
    »Ich begleite Nina«, antwortete er. »Mit Schubert und Brahms. Sie hat eine wichtige Solo-Vorstellung auf einem kleinen, aber viel beachteten Musikfestival in Sussex.« Er begann aus dem Gedächtnis eine wunderbar fließende Sonate von Schubert zu spielen. Die schwermütige Melodie war sehr ergreifend. Als er zu Ende gespielt hatte, saßen wir eine Zeit lang schweigend da.
    Ein herrlicher Kräuterduft breitete sich allmählich im Zimmer aus. Sekunden später piepste die Backofenuhr und unterbrach uns rüde.
    »Wie geht’s deinem Dad?«, fragte Ben beim Essen. Besorgt hörte er zu, als ich ihm von meinem Besuch an diesem Nachmittag erzählte und berichtete, dass es keine Besserung gab. Ich hatte das Gefühl, mich ihm anvertrauen zu können.
    »Es klingt merkwürdig, Ben, aber irgendwie fühle ich mich ihm so nah wie seit Jahren nicht mehr. Wir hatten nie eine sehr enge Beziehung, aber jetzt kann ich neben ihm sitzen und ihm erzählen, was ich den ganzen Tag so mache und wie ich mich fühle, und er kann weder das Thema wechseln noch den Raum verlassen. Das hat er früher immer getan, wenn ich etwas sagte, das ihm nicht gefiel. Nun muss er mir zuhören. Wenn es das ist, was er tut, da kann ich mir ja nie sicher sein. Vielleicht ist er auch ganz weit weg an einem anderen Ort.«
    »Aber man sagt doch, es hilft den Patienten, wenn man mit ihnen redet und sie stimuliert, oder? Du hast deine Mutter bisher nie erwähnt. Ist sie …?«
    »Sie ist gestorben, als ich ein kleines Kind war.«
    »Das tut mir leid«, antwortete er bestürzt.
    Ich hatte mich längst an die Reaktion der Leute gewöhnt. Manche waren verlegen, wussten nicht, was sie erwidern sollten; und dann war es meine Aufgabe, sie zu beruhigen. »Mach dir keine Sorgen«, sagte ich zu Ben, »das alles ist schon fast dreißig Jahre her. Ich kann mich überhaupt nicht an sie erinnern.«
    »Trotzdem, ohne Mutter aufzuwachsen … das ist hart«, sagte er.
    Ich nickte. »Was ist denn mit deinen Eltern?«
    »Ich bin nur selten in Herefordshire, um sie zu besuchen«, antwortete Ben und bot mir noch etwas Salat an. »Zum Glück wohnt meine Schwester Sally in der Nähe. Ich fahre ein paarmal im Jahr hin, Weihnachten zum Beispiel, aber das wird mit meinen neuen Pflichten als Organist bestimmt nicht mehr so einfach sein. Ich habe wirklich Glück, dass Sally sich so kümmert.«
    »Aber es ist eine Schande, wenn du sie wegen deines Jobs nicht mehr besuchen kannst.«
    »Ehrlich gesagt, wir waren uns auch nie besonders nah. Ich kam schon mit sieben ins Internat und war es daher gewohnt, auf mich selbst aufzupassen.« Mit versteinerter Miene schob er seinen Teller von sich.
    »Sieben ist noch schrecklich jung«, antwortete ich. Vor meinem geistigen Auge sah ich auf einmal einen rotwangigen Ben mit kurzer Hose und Blazer, der einsam und allein an einem Bahnhof auf seinem Koffer hockte. Muttergefühle überschwemmten mich. »War das die Schule, wo du Michael kennengelernt hast?«
    »Nein, das war viel später, mit dreizehn. Bei ihm war es noch schlimmer. Seine Eltern waren Diplomaten, das hat er dir erzählt, oder? Im Sommer flog er jedenfalls immer dahin, wo sie sich gerade aufhielten, und die restliche Zeit wurde er zwischen Verwandten hin und her geschoben. Meine Mutter mochte ihn gern, daher war er häufig bei uns. Er besucht sie heute noch; er ist ihr ein besserer Sohn als ich.«
    Ben wirkte plötzlich so niedergeschlagen, dass ich schnell einwarf: »Das kann ich mir nicht vorstellen. Aber er hat regelmäßigere Arbeitszeiten als du, oder? Vergiss nicht, ich weiß, wie es ist, als Musiker zu arbeiten. Man hat da nicht viel Zeit für andere Dinge im Leben.«
    Er nickte. »Das kann man wohl sagen. Ich habe manchmal das Gefühl, gar keine Freizeit zu haben.

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