Der Zauber des Engels
Küsschen auf die Wange gedrückt hatte. »Ich bin gerade an einem entscheidenden Punkt beim Kochen. Kannst du gut Béchamelsoße machen? Ich kriege das irgendwie nie richtig hin.«
Ich folgte ihm und fand die Küche in völligem Chaos vor. Das Buch eines Promikochs war aufgeschlagen, offenbar gab es Onkel Pepes berühmte Gemüselasagne . Die Seite war mit Mehl und geriebenem Parmesan beschmutzt und mit einer Pfeffermühle beschwert. Eine Ratatouille-Spur zog sich zwischen Tisch und Spüle über den Fußboden, wo Gemüseschalen zwischen schmutzigen Besteckteilen schwammen. Ich stieg über ein zerbrochenes Ei, das auf dem Boden lag, und spähte in einen Topf mit zähem weißem Brei.
»Wo hast du ein Sieb?«, fragte ich und begann mit einem Löffel in der Soße zu rühren.
Ben wischte das Ei auf dem Boden inklusive Schalen mit einem Geschirrtuch weg, und ich sah entsetzt zu, wie er alles zusammen einfach in die Waschmaschine stopfte. Anschließend bestand sein einziger weiterer Beitrag zur Gestaltung des Abendessen darin, dass er zwei große Gläser voll Rotwein goss und mich mit Geschichten über seinen hektischen Tag unterhielt, während ich die klumpige Soße bearbeitete und abwechselnd Lagen aus Gemüse, Béchamel, Lasagneblättern und schließlich Parmesan in eine bereitgestellte Auflaufform schichtete.
»Lässt du deine Gäste ihr Essen immer selbst kochen?«, fragte ich, nachdem ich die Backofentür geschlossen hatte.
Er lachte. »Es tut mir leid, ich bin wirklich ein hoffnungsloser Koch. Du weißt gar nicht, wie dankbar ich dir bin.« Schuldbewusst setzte er den Blick eines kleinen Lausejungen auf, so rührend, dass ich ihm nicht böse sein konnte.
»Wo essen wir denn? Vielleicht sollten wir den Tisch decken? Gibt es Salat oder irgendwas dazu?« Ben sprang auf und kramte in der Besteckschublade. Grüner Salat und Brot, Gabeln und Löffel kamen auf den Küchentisch.
» Et voilà! Fran, was hältst du davon, wenn du es dir schon mal im Wohnzimmer bequem machst, während ich schnell ein bisschen aufräume? Wenn du Lust hast, kannst du auch ein paar Takte auf dem Klavier klimpern.«
Ich protestierte, aber davon wollte er nichts wissen. »Auf keinen Fall. Du hast jetzt wirklich genug getan.«
Als ich die Treppe hinaufstieg und den langen schmalen Flur durchquerte, ertappte ich mich dabei, dass ich mir vorzustellen versuchte, wie das Haus einmal ausgesehen haben musste.
Vermutlich hatten die Architekten das frühere Treppenhaus einfach entfernt und eine Trennwand eingezogen, um das alte Pfarrhaus in zwei kleinere Hälften zu verwandeln. Und nun bewohnte Ben die Hälfte der alten Diele und die Hälfte der Räume des ursprünglichen Hauses, mit eigenem Eingang zur Straße hin. Die zweite Hälfte auf der anderen Seite der Mauer war vermutlich genau spiegelverkehrt. Falls doch noch irgendwelche Gespenster aus der viktorianischen Zeit hier herumspuken, grübelte ich, werden sie wahrscheinlich hin und her durch die Trennmauer schlüpfen und sich fragen, welcher Dummkopf es ihnen so schwer gemacht hatte.
Ich spähte um die Ecke in den vorderen Raum, wo der ebenholzfarbene Flügel im Abendlicht schimmerte. In dem Raum herrschte ein heiteres Durcheinander, überall auf den nackten Holzdielen waren Notenblätter verstreut. Die Anordnung der Holzstühle und der Notenständer ließ darauf schließen, dass kürzlich eine Kammermusikprobe stattgefunden haben musste. An einer Wand hatte Ben eine eindrucksvolle Sammlung gerahmter Zeugnisse aufgehängt. Es gab auch ein paar Konzertbroschüren und einige Plakate, die Klavierkonzerte bei bekannten Musikfestivals ankündigten; das jüngste lag zwei oder drei Jahre zurück.
Ich ging zum Flügel, auf dem ein aufgeschlagener Kalender lag, und konnte mir nicht verkneifen, einen Blick hineinzuwerfen. Ninas Name tauchte ein paarmal auf. Frustriert klappte ich das Buch zu.
Ich stellte mein Weinglas auf den Tisch und setzte mich auf den Hocker. Der Flügel, ein Bechstein, war wunderschön und in makellosem Zustand. Ich stimmte ein paar Akkorde an, dann überflog ich die Noten des Stücks auf dem Notenständer. Ich versuchte ein paarmal, das Stück zu spielen, bis ich plötzlich merkte, dass Ben in der Tür stand und mir zusah.
»Klavierspielen ist nicht meine Sache. Spiel du etwas«, bat ich, stand auf und zog wahllos ein Notenblatt aus dem Stapel. »Ravel. Kannst du das?«
Es war Jeux d’Eau , ein schnelles, unglaublich schwieriges Stück, das sich anhören sollte wie
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