Der Zauber des weissen Wolfes
blicklos ins Leere gerichtet, die Arme vor sich ausgestreckt, zuckend und unheilige Zeichen beschreibend, begann er in zischelndem Singsang Laute auszustoßen. Langsam stieg seine Stimme an, ähnlich dem Kreischen eines näherkommenden Sturms - dann schwang sich die Stimme plötzlich empor, bis sie ungezügelt zum Himmel aufschrie und die Luft zitterte und bebte. Schattengestalten begannen sich zu formen; sie standen nicht etwa still, sondern zuckten um Elrics Körper, der sich nun mit steifen Beinen seinem Boot näherte.
Das nachdrückliche Heulen seiner Stimme klang unmenschlich: er rief die Windgeister - die Sylphs der Brise, dann die Sharnahs, die Schöpfer des Sturms, die h'Haarshanns, die Erzeuger von Wirbelwinden - dunstig und formlos umtosten sie ihn, während er sie mit den fremden Worten seiner Urahnen zur Hilfe verpflichtete - eine Hilfe, die vor langer Zeit zwischen Melniboneern und Elementargeistern in unver- brüchlichen Vereinbarungen festgelegt worden war.
Noch immer ungeschickt und verkrampft bestieg Elric das Boot. Wie ein Automat zog er das Segel auf und setzte es. Dann stieg eine große Woge aus dem ruhigen Meer empor, immer höher hinauf, bis sie gewaltig über dem Schiff aufragte. Mit mächtigem Donnern rauschte das Wasser gegen das Boot, hob es an und trug es auf das Meer hinaus. Elric saß mit leerem Blick am Heck und krächzte noch immer den scheußlichen Zaubergesang hinaus: die Geister der Luft zupften an dem Segel und ließen das Boot über das Wasser gleiten, schneller als jedes normale Schiff sich bewegen konnte. Und die ganze Zeit erfüllte das betäubende, unirdische Kreischen der freigelassenen Elementarwesen die Luft rings um das Boot, während die Küste verschwand und ringsum nur noch das offene Meer sichtbar war.
2
So geschah es denn, daß Elric, der letzte Prinz des königlichen Geblüts von Melnibone, mit Winddämonen als Matrosen in die letzte Stadt zurückkehrte, die noch von seiner Rasse beherrscht wurde - die letzte Stadt und das letzte Symbol uralter melniboneischer Architektur. Die verwaschen rosafarbenen und zartgelben äußeren Türme tauchten wenige Stunden nach Elrics Abfahrt auf, und dicht unter der Küste der Insel der Drachenherren verließen die Elementargeister das Boot und kehrten in ihre geheimen Verstecke inmitten der höchsten Berge der Welt zurück. Zugleich erwachte Elric aus seiner Trance und bedachte mit neuem Staunen die Schönheit der schlanken Türme seiner Heimatstadt, eine Schönheit, die schon aus dieser großen Entfernung sichtbar war, bewacht von der gewaltigen Schutzmole mit dem großen Tor, dem Meereslabyrinth mit den fünf Eingängen und den gewun- denen Kanälen, zwischen hohen Mauern, von denen nur einer in den inneren Hafen Imrryrs führte.
Elric wußte, er würde es nicht wagen, den Hafen durch das Labyrinth anzusteuern, auch wenn er den Weg kannte. Vielmehr beschloß er, das Boot ein Stück weiter an der Küste in einer kleinen Bucht zu ankern, die ihm bekannt war. Sicher und geschickt steuerte er das kleine Fahrzeug auf den verborgenen Einschnitt zu, der durch Büsche verhüllt war. Die Büsche trugen scheußliche blaue Beeren, die entschieden unverträglich waren: sie machten blind und vernebelten allmählich den Verstand. Diese Beere, die Nodoil, wuchs nur in Imrryr; das gleiche galt für etliche andere seltene und tödliche Pflanzen.
Dünne, tiefhängende Wolkenfetzen strömten langsam über den sonnenhellen Himmel, wie Spinnweben, die von einem plötzlichen Windhauch ergriffen wurden. Die Welt schimmerte blau und golden, grün und weiß; Elric zog das Boot auf den Strand und atmete die saubere, scharfe Luft des Winters ein und genoß den Duft verfaulender Blätter und abgestorbenen Unterholzes. Irgendwo bellte eine Füchsin freudig ihr Männchen an, und Elric bedauerte die Tatsache, daß seine geschwächte Rasse die Schönheiten der Natur nicht mehr zu schätzen wußte, sondern es vorzog, in der Nähe der Stadt zu bleiben und so manchen Tag in berauschtem Schlummer zu verbringen. Nicht die Stadt träumte, sondern ihre überzivilisierten Bewohner. Angesichts der vollen, sauberen Winterdüfte freute sich Elric, daß er sein Geburtsrecht ausgeschlagen hatte und nicht über die Stadt herrschte, wie es ihm durch Herkunft vorgeschrieben war.
Vielmehr räkelte sich sein Cousin Yyrkoon auf dem Rubinthron des Schönen Imrryr und haßte Elric, wußte er doch, daß der Albino trotz seines Widerwillens gegenüber Kronen und
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