Der Zauber des weissen Wolfes
eintreten konnte. »Die Dracheninsel hat nur einen König, und er heißt Elric, was immer sich der Usurpator anderes wünschen mag.«
Elric ignorierte die Äußerung, lächelte aber dünn und wartete, bis der Mann den Riegel zugeschoben hatte.
»Sie schläft noch immer, Herr«, murmelte Krummknochen, während er, dichtauf gefolgt von Elric, die dunkle Treppe erklomm.
»Das hatte ich schon vermutet«, meinte Elric. »Ich unterschätze die Zauberkräfte meines lieben Cousin durchaus nicht.«
Stumm setzten die beiden Männer ihren Aufstieg fort, bis sie schließlich einen Korridor erreichten, in dem Fackeln loderten. Die Marmorwände spiegelten die Flammen und offenbarten Elric, der sich mit Krummknochen hinter eine Säule duckte, daß das Zimmer, für das er sich interessierte, von einem kräftigen Bogenschützen bewacht war - der Mann sah wie ein Eunuch aus und schien ziemlich auf der Hut zu sein. Er war haarlos und dick, die blauschwarz schimmernde Rüstung lag prall auf seiner Haut, doch seine Finger krümmten sich um die Sehne des kurzen Knochenbogens, und ein schmaler Pfeil lag auf der Sehne. Elric nahm an, daß der Mann zu den Eunuchenschützen gehörte, zur Stummen Wache, der besten Kriegertruppe Imrryrs.
Krummknochen, der dem jungen Elric das Fechten und Bogenschießen beigebracht hatte, war auf den Wächter vorbereitet; er hatte gewußt, daß er hier sein würde, und hatte hinter der Säule Pfeil und Bogen bereitgelegt. Lautlos griff er danach und spannte ihn über seinem Knie. Er legte einen Pfeil auf die Sehne, zielte auf das rechte Auge des Wächters und schoß - im gleichen Augenblick wendete sich der Eunuch in seine Richtung. Der Pfeil sirrte vorbei, prallte gegen den Halsschutz des Mannes und fiel harmlos auf den Boden.
Elric trat augenblicklich in Aktion; mit gezogenem Runenschwert sprang er vor, erfüllt von der fremden Kraft der Waffe. Sie heulte in einer sengenden Kurve schwarzen Stahls durch die Luft und durchschnitt den Bogen, mit dem der Eunuch den Hieb abwehren wollte. Der Wächter atmete schwer, und seine dicken Lippen schimmerten feucht, als er sie öffnete, um loszuschreien. Im gleichen Moment sah Elric, was er zu sehen er- wartet hatte: der Mann hatte keine Zunge mehr: er war stumm. Der Mann zog nun das Kurzschwert und vermochte Elrics nächsten Stoß im letzten Augenblick abzuwehren. Funken sprühten aus dem Eisen, und Sturmbringer verbiß sich in die scharfe Klinge des Eunuchen. Der Mann taumelte und wich vor dem nigromantischen Schwert zurück, das ein Eigenleben zu besitzen schien. Metall klirrte laut durch den kurzen Korridor, und Elric verfluchte das Schicksal, das den Mann dazu gebracht hatte, sich im entscheidenden Augenblick umzudrehen. Grimmig und mit schneller Bewegung kämpfte er die ungeschickte Deckung des Eunuchen nieder.
Der Kahlköpfige hatte nur ein undeutliches Bild von seinem Gegner hinter der wirbelnden schwarzen Klinge, die so leicht zu sein schien und die doppelt so lang war wie sein Breitschwert. Verzweifelt fragte er sich, wer sein Angreifer sein mochte, und glaubte das Gesicht auch tatsächlich zu erkennen. Im nächsten Augenblick verdeckte ihm etwas Rotes die Sicht, er spürte einen brennenden Schmerz, und in philosophischer Gelassenheit - Eunuchen neigen zu einem gewissen Fatalismus - machte er sich klar, daß er sterben würde.
Elric stand über dem mächtigen Körper des Eunuchen und zog sein Schwert aus dem Schädel des Toten. Er reinigte die Klinge an der Tunika des Toten von Blut und Gehirnresten. Krummknochen hatte sich klugerweise zurückgezogen. Elric hörte lauter werdende Sandalenschritte auf der Treppe. Er stieß die Tür auf und betrat den Raum, in dem links und rechts von einem breiten, verzierten Bett zwei kleine Kerzen brannten. Er näherte sich dem Bett und blickte auf das schwarzhaarige Mädchen nieder, das darin lag.
Elrics Mund zuckte, und helle Tränen schössen ihm in die absonderlich roten Augen. Er zitterte, als er sich wieder zur Tür wandte, sein Schwert in die Scheide steckte und den Riegel vorschob. Er kehrte zum Bett zurück und kniete neben dem schlafenden Mädchen nieder. Ihr Gesicht war so schmal wie das Elrics und auch ähnlich geformt, doch verfügte sie über eine zusätzliche exquisite Schönheit, die dem Manne abging. Sie atmete flach, in einem Schlaf, der nicht auf natürliche Erschöpfung, sondern auf den bösen Zauber ihres Bruders zurückging.
Elric hob einen Arm und griff zärtlich nach einer schmalen,
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