Der Zauber des weissen Wolfes
sie heimsuchen und plündern wollten.
Zwei Tage nachdem sie in See gestochen waren, kam die Küste der Dracheninsel in Sicht, und das Klappern von Waffen löste das Knirschen der Ruder ab, nachdem die gewaltige Flotte beigedreht hatte und nun ein Ziel zu erreichen versuchte, das vernünftige Männer für unerreichbar hielten.
Befehle hallten von Schiff zu Schiff, und die Flotte begann sich zu einer Schlachtordnung zu formieren, dann knirschten die Ruder in ihren Dollen und setzten die Flotte bedächtig, nun mit gerefften Segeln, erneut in Bewegung.
Es war ein klarer Tag, die Luft war kalt und frisch, und gespannte Erwartung erfüllte alle Männer, vom Seelord bis zum Kombüsenhelfer, beim Gedanken an die unmittelbare Zukunft und ihre möglichen Gefahren. Die schlangenköpfigen Bugspriete pflügten um die mächtige Steinmauer herum, die den ersten Eingang zum Hafen blockierte. Sie war fast hundert Fuß hoch und gekrönt von Türmen - funktioneller als die dünnen, anmutigen Bauwerke der Stadt, die dahinter in der Ferne schimmerten. Als einzige durften imrryrische Schiffe das große Tor in der Mitte der Mauer passieren, während der Weg durch das Labyrinth - schon der Eingang dazu - vor allen Fremden streng geheimgehalten wurde.
Auf der Mole, die nun hoch über der Flotte aufragte, waren erstaunte Wächter zu sehen, die auf ihre Posten eilten. Für sie war ein Angriff so gut wie undenkbar - doch vor ihnen lag die große Flotte, die größte, die sie jemals gesehen hatten, gegen das Schöne Imrryr aufmarschiert! Sie begaben sich auf ihre Posten, mit raschelnden gel- ben Umhängen und Kilts, mit klappernden bronzeroten Rüstungen, doch ihre Bewegungen zeugten von verwundertem Widerstreben, als wollten sie nicht akzeptieren, was ihre Augen offenbarten. Und sie suchten ihre Posten in verzweifeltem Fatalismus auf, wußten sie doch, daß sie die Niederlage der Angreifer nicht mehr erleben würden, selbst wenn es den Schiffen nicht gelang, das Labyrinth zu überwinden.
Dyvim Tarkan, Kommandeur der Mauer, war ein empfindsamer Mann, der das Leben und seine Freuden liebte. Er besaß ein hübsch geschnittenes Gesicht mit hoher Stirn, mit einem dünnen Kinnbart und einem winzigen Schnurrbart. In seiner Bronzerüstung mit dem Federbusch am Helm bot er einen stattlichen Anblick. Er wollte nicht sterben. Er gab seinen Männern knappe Befehle, und die Soldaten gehorchten mit geübter Präzision. Besorgt lauschte er auf die fernen Rufe von den Schiffen und fragte sich, wie die Angreifer ihren Überfall einleiten würden. Er brauchte nicht lange auf eine Antwort zu warten.
Auf einem der führenden Schiffe surrte dumpf ein Katapult, der Wurfarm ruckte hoch und schickte einen mächtigen Felsbrocken los, der mit gelassener Anmut - so sah es jedenfalls aus -auf die Mauer zuflog. Das Geschoß fiel zu kurz und klatschte ins Meer, welches schäumend gegen die Mauersteine wallte.
Dyvim Tarkan schluckte und versuchte das Zittern in seiner Stimme zu kaschieren, als er seinem eigenen Katapult den Beschuß freigab. Das Spannseil wurde durchgeschnitten, und eine rächende Eisenkugel raste auf die feindliche Flotte zu. So dicht formierten sich die Angreifer, daß die Kugel nicht fehlgehen konnte - sie traf das Deck des Flaggschiffs von Dharmit aus Jharkor und durchbrach die Planken. Innerhalb von Sekunden, begleitet von den Schreien Zerschmetterter und Ertrinkender, war das Schiff gesunken und hatte Dharmit und seine Leute mit in die Tiefe gerissen. Einige wenige Besatzungsmitglieder wurden von anderen Schiffen an Bord genommen, doch die Verwundeten blieben ihrem Schicksal überlassen.
Ein zweites Katapult dröhnte, und diesmal wurde ein Turm voller Bogenschützen getroffen. Mauerwerk spritzte auseinander, und die Überlebenden stürzten in die schäumende See am Fuße der Mauer. Erzürnt über den Tod ihrer Gefährten, schickten nun imrryrische Bogenschützen eine Wolke schlanker Pfeile los. Die Angreifer schrien auf, als die rotgefiederten Geschosse sich durstig in ihr Fleisch bissen. Doch gleichzeitig erwiderten die Angreifer großzügig den Pfeilhagel, und sehr bald war auf der Mauer, nachdem weitere Katapultgeschosse Türme und Männer zerschmettert und die einzige Kriegsmaschine und einen Teil der benachbarten Brustwehr mit vernichtet hatten, nur noch eine Handvoll Kämpfer übrig.
Dyvim Tarkan lebte noch, auch wenn nun rotes Blut seine gelbe Tunika verfärbte und ein Pfeilschaft ihm aus der linken Schulter ragte. Er lebte noch, als
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