Der Zauber des weissen Wolfes
unfair. Laß mich dir einige Aspekte der Wahrheit vor Augen führen. Nenn sie Legende, wenn du möchtest - mir ist das egal.
Vor einem Jahr starb eine Frau auf der Spitze meines wehrhaften Schwertes.« Er tätschelte die Klinge mit heftiger Bewegung, und sein Blick war hart und voller Selbstverachtung. »Seither habe ich keine Frau begehrt und keine umworben. Warum sollte ich solch sicherer Gewohnheit entsagen? Würdest du mich fragen, so müßte ich einräumen, daß ich dir Gedichte aufsagen könnte und daß du eine Anmut und Schönheit besitzt, die mich auf interessante Spekulationen bringen, doch ich möchte keinen Aspekt meiner düsteren Last auf ein Wesen laden, das so exquisit ist wie du. Jede Beziehung zwischen uns, die nicht höflich und formell wäre, müßte dazu führen, daß ich gegen meinen Willen einen Teil meiner Last abgebe.« Er zögerte einen Augenblick lang und sagte dann langsam: »Ich müßte zugeben, daß ich zuweilen im Schlaf schreie und daß mich oft ein nicht wiederzugebender Abscheu vor mir selbst quält. Geh, solange du noch kannst, Lady, vergiß Elric, denn er kann deiner Seele nur Kummer bringen.«
Mit schneller Bewegung wandte er den Blick von ihr ab, hob den silbernen Weinkelch, leerte ihn und füllte ihn aus einem Krug an seinem Ellenbogen nach.
»Nein«, sagte die flügellose Myyrrhn-Frau gelassen. »Das tue ich nicht. Begleite mich. Komm mit mir.«
Sie stand auf und griff zart nach Elrics Händen. Ohne zu wissen, warum, ließ sich Elric aus der Taverne und in den heftigen Sturm hinausführen, der die filkharische Stadt Raschil durchtobte. Ein beschützerisches und zugleich zynisches Lächelnlag auf seinem Mund, als sie ihn zu dem überspülten Kai führte, wo sie ihm ihren Namen nannte. Shaarilla vom Tanzenden Nebel, flügellose Tochter eines toten Geisterbeschwörers - ein Krüppel in ihrer fremdartigen Heimat, eine Geächtete.
Auf seltsame Weise fühlte Elric sich zu der Frau mit den ruhigen Augen hingezogen, die wenige Worte machte. Ein gewaltiges Aufwallen des Gefühls äußerte sich in ihm, Gefühle, die er nie wieder zu erleben erwartet hatte: er wollte ihre zart geformten Schultern ergreifen und ihren schlan- ken Körper an den seinen drücken. Doch er bezwang den Drang und betrachtete ihre marmorne Zartheit und ihr wildes Haar, das ihren Kopf umflatterte.
Eine angenehme Stille herrschte zwischen ihnen, während der chaotische Wind klagend über das Meer heulte. Hier konnte Elric den warmen Gestank der Stadt ignorieren und fühlte sich beinahe entspannt. Endlich blickte sie von ihm fort auf das bewegte Meer hinaus, und ihre grüne Robe bauschte sich im Wind, als sie sagte: »Du hast natürlich schon vom Buch der Toten Götter gehört?«
Elric nickte. Ihn interessierte Shaarillas Geschichte, obwohl er das Bedürfnis in sich spürte, zu seinen Mitmenschen auf Abstand zu bleiben. Das mythische Buch enthielt angeblich Kenntnisse, mit denen sich viele Probleme lösen ließen, die die Menschheit seit Jahrhunderten plagten: es enthielt ein heiliges und umfassendes Wissen, das jeder Zauberer gern ausprobiert hätte. Aber man nahm an, daß es vernichtet worden war, daß es in die Sonne geschleudert worden war, als die Alten Götter in den kosmischen Wüsten starben, außerhalb der äußeren Bereiche des Sonnensystems. Eine andere Legende, offenbar später entstanden, sprach vage von den düsteren Wesen, die den Sonnenflug des Buches aufgehalten und es gestohlen hatten, ehe es vernichtet werden konnte. Die meisten Gelehrten wiesen die Legende zurück mit dem Argument, daß das Buch, sollte es wirklich noch bestehen, längst wieder zum Vorschein gekommen wäre.
Elric zwang sich dazu, tonlos zu sprechen, damit seine Worte desinteressiert klangen. »Warum sprichst du von dem Buch?« fragte er Shaarilla.
»Ich weiß, daß es existiert«, antwortete Shaarilla nachdrücklich. »Und ich weiß, wo es ist. Mein Vater erlangte diese Information kurz vor seinem Tod. Mich - und das Buch - kannst du haben, wenn du mir hilfst, es zu erringen.«
Konnte das Geheimnis des Friedens in dem Buch zu finden sein? fragte sich Elric. Würde er, wenn er es fand, Sturmbringer loswerden können?
»Wenn du das Buch so dringend haben möchtest, daß du meine Hilfe erstrebst«, sagte er schließlich, »warum möchtest du es dann nicht behalten?«
»Weil ich Angst hätte, es in meiner Obhut zu haben - es ist kein Buch für eine Frau, aber du bist vermutlich der letzte mächtige Zauberer, den es noch auf
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