Der Zauber einer Winternacht
Angelegenheiten zu regeln, und die Straße ist noch nicht lawinensicher … Nein, ich weiß nicht, wie lange ich hier festsitze.“
Wie lange er mit mir hier festsitzt, meint er.
Bitterkeit stieg in Gillian hoch, und als er auch noch nach Robbie fragte, verkrampfte sich ihr Magen.
Die hässliche Wahrheit war nämlich: Gillian sah in dem süßen kleinen Jungen eine stärkere Bedrohung als in seiner Mutter. Natürlich wusste sie, dass es unfair war, Bryce die Zweisamkeit mit einer anderen Frau zu neiden. Immerhin hatte sie selbst die Scheidung eingereicht. Mit Robbie hingegen verhielt es sich anders. Der Gedanke daran, dass ein fremdes Kind Bryce über den Verlust von Bonnie hinweghalf, tat Gillian so weh, als stoße man ihr ein Messer in den Rücken.
„Sag ihm, ich tue, was ich kann, um rechtzeitig zurückzukommen und das Spiel der Nuggets mit ihm zu besuchen … Ich vermisse dich auch.“
Gillian eilte aus dem Zimmer. Sie wollte nicht auch noch mit anhören müssen, wie er einer anderen Frau „Ich liebe dich“ sagte. Außerdem fiel es ihr schwer, sich nicht darüber zu ärgern, dass es ihn so sehr zu Vi nach Hause zog. Sie erinnerte sich nämlich nur zu gut daran, wie schwierig es früher gewesen war, ihn von seiner Arbeit loszueisen. Für Bonnie und sie hatte Bryce nur wenig Zeit gehabt …
Im vergangenen Jahr hatte Gillian es selbst im Schnitt auf sechzig Arbeitsstunden pro Woche gebracht. Das half ihr, seine Einstellung zur Arbeit besser zu verstehen, obwohl diese ihre Ehe so belastet hatte. Sie wunderte sich, dass er seit Beginn der Reise noch nicht ein einziges Mal seine Firma erwähnt hatte.
Offenbar kreisten seine Gedanken nicht mehr – so wie früher – ständig darum. Er hatte sich überhaupt in vieler Hinsicht sehr verändert, wobei Gillian noch nicht ganz klar war, inwiefern genau. Nicht nur, dass er sie kühl behandelte – er schien sehr viel selbstsicherer geworden zu sein, sich wohler zu fühlen in seiner Haut. Vielleicht hatte er ja endlich erreicht, was er wollte, und war deshalb entspannter, zufriedener und mit sich selbst im Reinen.
Gillian nutzte die Gelegenheit, um ihre Schwestern anzurufen. Da beide nicht zu Hause waren, hinterließ sie ihnen auf dem Anrufbeantworter die Nachricht, sie sei heil auf der Ranch angekommen. Vermutlich würden die beiden nicht gern hören, dass sie auf der Ranch eingeschneit war und noch nicht feststand, wie lange sie mit ihrem Exmann hier ausharren musste. Deshalb erwähnte sie diesen Umstand vorsichtshalber nicht.
Mit etwas Glück würde es ihr gelingen, die fällige Auseinandersetzung mit Stella und Rose aufzuschieben, bis sie wusste, wie es wirklich um die Gesundheit ihres Vaters stand. Also rief sie als Nächstes den Hausarzt und alten Freund der Familie an.
„John wird uns vermutlich beide überleben“, erklärte ihr Dr. Schuler. „Das heißt aber nicht, dass du nicht gut daran tätest, jemanden einzustellen, der sich um ihn kümmert. Ich werde auch ein paar Tests mit ihm durchführen, um festzustellen, ob er an Alzheimer leidet. Vorausgesetzt, du möchtest das.“
Gillian bedankte sich und legte auf. Was würden ihre Schwestern dazu sagen? Würden sie eine zweite Meinung einholen wollen?
Der Rest des Tages verging, ohne dass es erneut zu bösen Worten zwischen ihr und Bryce kam. Nachdem sie die Bücher komplett durchgesehen hatten, telefonierten sie mit diversen Rechtsanwälten, Banken und Pflegediensten. Vielleicht würden sie eine Lösung finden, die es John ermöglichte, auf der Ranch zu bleiben, ohne dass seine Kinder sich ständig Sorgen um ihn machen mussten.
Als es endlich Zeit fürs Abendessen wurde, konnte Gillian keinen klaren Gedanken mehr fassen. Bryce hatte am Morgen drei große T-Bone-Steaks aus dem Gefrierschrank genommen und sie nach dem Auftauen mariniert. Jetzt grillte er die Steaks, und Gillian kümmerte sich um den Salat und die Kartoffeln. Sie brauchten ihren Vater nicht zum Essen zu rufen. Der Duft seines Leibgerichts lockte ihn rechtzeitig zu ihnen ins Haupthaus.
Er speiste mit sichtlichem Genuss und stellte zufrieden fest: „So gut habe ich schon lange nicht mehr gegessen.“
Gillian freute sich über seinen guten Appetit. Er aß alles auf, was sie ihm vorsetzte, und sie fragte sich, ob er sonst wohl eher wenig und unregelmäßig aß oder sich gar auf Dosengerichte beschränkte, die er nur warm zu machen brauchte. Ihr fiel auch auf, dass seine Hände leicht zitterten, als er ihr seinen Teller zum Auffüllen
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