Der Zauber einer Winternacht
dem großen Panoramafenster. Dabei gerieten Gillian jede Menge Tannennadeln ins Haar. Bryce half ihr, sie mit den Fingern wieder herauszukämmen.
Seine Berührung ließ ihr den Atem stocken. Aus Verlegenheit wandte sie sich hastig der verknoteten Lichterkette zu, die auf dem Boden lag. Gemeinsam machten sie sich daran, die Schlingen von beiden Enden her zu entwirren. Manche Knoten leisteten ziemlich viel Widerstand, aber letztlich zahlte sich ihre Geduld aus. Über den endlosen Streitereien während ihrer Ehe hatte Gillian völlig vergessen, wie gut sie zusammenarbeiten konnten.
Wenn unser Leben doch nur so einfach zu entwirren wäre wie diese Lichterkette!
Sie seufzte.
Gemeinsam schmückten sie den Baum mit der Lichterkette und schalteten sie ein. Anschließend wandten sie sich den verstaubten Kartons mit dem Baumschmuck zu. Viele der Stücke weckten besondere Erinnerungen. Einige hatte Gillian geschenkt bekommen, andere hatte sie als Kind für ihre Eltern gebastelt, und wieder andere riefen ihr besondere Ereignisse ihres Lebens ins Gedächtnis.
Die Kugeln aus mundgeblasenem Glas waren echte Antiquitäten. Sie würden einen guten Preis erzielen, wenn man sie einem Antiquitätenhändler verkaufte. Andere Stücke von geringerem Wert waren dennoch unbezahlbar, weil kostbare Erinnerungen damit verbunden waren.
„Oh nein!“, rief Gillian entsetzt und starrte auf eine Schneeflocke aus Kristall. Ein Stückchen war abgebrochen. Ihre Mutter hatte ihr diese Kristallflocke kurz vor ihrem Tod geschenkt, und sie hatte ihr sehr viel bedeutet.
„Wie kann man nur so unachtsam sein!“
Bryce trat neben sie. Sein Blick umwölkte sich, während er über die Frage nachdachte. „Es kommt halt vor, dass man einfach vergisst, sorgsam auf die Dinge zu achten, die uns am wertvollsten sind.“
Gillian fühlte sich beschämt. Es gab tatsächlich Dinge, auf die auch sie nicht sorgfältig genug geachtet hatte – zum Beispiel das Bedürfnis ihres Mannes, für seine Familie zu sorgen. Und das Baby, das sie zum Schlafen ins Bett gelegt hatte, ohne zu ahnen, dass etwas Schreckliches geschehen würde.
Die beschädigte Kristallflocke fiel ihr aus der Hand und zersprang in tausend Scherben.
„Und manchmal“, sagte Bryce, während er ihr eine Hand unters Kinn legte und sie sanft zwang, ihn anzusehen, „passieren Dinge ohne unser Zutun. Wir haben nicht alles unter Kontrolle. Wir können nur akzeptieren, was geschehen ist, und weiterleben.“
Die Lichter des Weihnachtsbaums verschwammen, als Gillian Tränen in die Augen stiegen.
„Und was ist, wenn ich das nicht kann?“, flüsterte sie mit erstickter Stimme.
Bryce nahm sie in die Arme und zog sie an seine Brust. Sanft streichelte er ihren Rücken, während endlich die Schranken fielen und Gillian ihren Gefühlen freien Lauf ließ.
„Weine nur, mein Schatz, das hilft“, flüsterte er tröstend.
„Was ist nur los mit mir?“, stieß sie schluchzend hervor. „Warum kann ich den Schmerz nicht endlich überwinden? Du hast das doch auch geschafft!“
„Vielleicht liegt es daran, dass du immer noch mit Gott haderst.“
„Nenn mir einen Grund, warum ich nicht mit ihm hadern sollte! Wie kann er nur so grausam sein, ein unschuldiges Baby seiner Mutter zu entreißen?“
„Und seinem Vater …“
Gillian nickte. Weil sie in den Monaten der Schwangerschaft die Bewegungen ihres Kindes in sich gespürt hatte und sich immer wieder daran erinnerte, vergaß sie manchmal, dass das Unheil sie beide gleichermaßen getroffen hatte.
Bryce dachte eine Weile nach, bevor er versuchte, ihre Frage zu beantworten. Eine Frage, auf die es keine wirkliche Antwort gab. „Ich glaube nicht, dass Gott grausam ist. Er hat dich mir und mich dir gegeben. Es tut mir leid, dass das nicht genug war, um über diesen schrecklichen Verlust hinwegzukommen.“
Gillian versuchte, sich zornig aus seiner Umarmung zu befreien. „Verschon mich mit religiösen Phrasen. Ausgerechnet du, dem seine Arbeit immer wichtiger war als Frau und Tochter!“
„Ich habe damals getan, was ich konnte“, sagte Bryce und drückte sie nur noch fester an sich. „Das musst du mir glauben.“
In ihrem Innersten wusste Gillian, dass Bryce genauso litt wie sie, und sie bedauerte ihren zornigen Ausbruch. „Ich weiß“, flüsterte sie. „Wir haben beide getan, was wir konnten, und doch hat das unser Baby nicht gerettet.“
Sie ging davon aus, dass Bryce ihr genauso die Schuld an Bonnies Tod gab, wie sie selbst das tat. Wie auch
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