Der Zauber eines fruehen Morgens
grinste verschmitzt. »Nach diesem ersten Mal will ich ihn noch mehr als vorher, und das Warten wird eine Qual sein. Ich brauche ein neues Kleid für die Hochzeit. Glaubst du, dass sich in Calais eine Schneiderin finden lässt?«
»Ganz bestimmt, doch jetzt geh lieber zu Bett! Es sollen sehrviele Verwundete zu uns unterwegs sein. Keine Zeit für Liebe und Leidenschaft!«
Lange nachdem Belle eingeschlafen war, lag Miranda noch wach und ließ ihre gemeinsame Nacht mit Will Revue passieren. Allein daran zu denken, versetzte sie in Erregung und ließ ihr Herz schneller schlagen. Um endlich einzuschlafen, stellte sie sich vor, dass der Krieg vorbei war und sie mit Will an Bord eines Schiffs nach Amerika fuhr. Er hatte gesagt, das Haus seiner Eltern sei klein, ein Reihenhaus, wie es sie auch in England gab, nahm Miranda an. Aber dort würden sie nur so lange bleiben, bis Will einen neuen Posten bekam, und dann würden sie in einer der Familienwohnungen innerhalb des Kasernenbereichs wohnen.
Als Belle mit dem Plan herausrückte, sich als Hilfsschwester am Royal Herbert zu bewerben, war Miranda eigentlich nicht sonderlich begeistert gewesen. Sie hatte sich einfach vom Enthusiasmus ihrer Freundin mitreißen lassen. Dutzende Male war sie drauf und dran gewesen, alles hinzuschmeißen, weil die Arbeit so schwer war und sie es nicht gewöhnt war, herumkommandiert zu werden. Um die Wahrheit zu sagen, war sie nur geblieben, weil sie wusste, dass ihre Mutter triumphieren würde, recht behalten zu haben. Auf die Idee, als Rettungsfahrerin zu arbeiten, war sie gekommen, weil diese Arbeit leichter und vielleicht auch glamouröser zu sein schien. Jetzt hätte sie darüber lachen mögen. Nichts an dieser Arbeit war glamourös, und sie war sogar noch anstrengender als die Pflege von Verwundeten.
Aber nun sah es so aus, als wäre es ihre Bestimmung gewesen, hierherzukommen und Will zu begegnen. Vor ihr lag ein neuer Anfang in einem Land, das sie schon immer hatte kennenlernen wollen. Will hatte ihr heute so viel darüber erzählt: von seinen Eltern und davon, wie sie ums Überleben hatten kämpfen müssen, als sie als Einwanderer nach Amerika gekommen waren, von dem überfüllten, heruntergekommenen Viertel, in dem sie gelebt hatten, alser klein gewesen war, und von der Schönheit des Landes außerhalb der Großstädte.
Er hatte ihr versprochen, ihr ein Buch über Amerika zu besorgen, damit sie sich einen besseren Begriff von dem Leben auf diesem Kontinent machen konnte. Und morgen könnte sie Belle ein bisschen ausfragen. Auf die Idee war sie bis jetzt noch gar nicht gekommen.
Ein seltsamer Gedanke, dass sie das alles im Grunde Frank zu verdanken hatte. Ohne ihre Affäre mit ihm und die Abtreibung hätte sie Belle nie kennengelernt, und ihr Leben wäre in ganz anderen Bahnen verlaufen. Ihre Eltern hätten sie mittlerweile wahrscheinlich schon unter die Haube gebracht, und sie hätte ihre Tage zweifellos damit verbracht, Socken und Schals für Soldaten zu stricken und ihrer Mutter von Tag zu Tag ähnlicher zu werden.
Belle war der einzige Mensch, den sie vermissen würde, wenn ihr neues Leben begann. Ihre Freundschaft bedeutete ihr so viel, all die Geheimnisse, die sie einander anvertraut hatten, das Lachen und die Freude an der Gesellschaft eines anderen Menschen, der alles über sie wusste und sie trotzdem liebte. Und Miranda war überzeugt, dass Belle zu kennen einen besseren Menschen aus ihr gemacht hatte.
Es würde ihr furchtbar schwerfallen, Abschied von ihr zu nehmen.
Sie spähte zu Belles Bett hinüber. Heute Nacht war es zu dunkel, um sie zu sehen, aber sie gab im Schlaf kleine schniefende Laute von sich. Miranda hätte ihr gern von ihrer Begegnung mit Etienne erzählt, doch Will hatte recht, das Wissen, dass er so nah war, könnte Belles inneren Frieden stören.
Miranda lächelte in sich hinein. Dieser Etienne war der Typ Mann, der jede Frau um ihren inneren Frieden brachte. Seine stahlharten blauen Augen, die kantigen Wangenknochen und sein französischer Akzent waren an sich schon genug, aber das war noch längst nicht alles. Belle hatte ihr erzählt, dass eine Freundin ihn einmal als Tiger bezeichnet hatte, und Miranda fand den Vergleichdurchaus passend. Er war ein Raubtier und ein Jäger, stark, möglicherweise rücksichtslos und gefährlich, wenn man sich ihm aus der falschen Richtung näherte.
Dennoch bestand für Miranda kein Zweifel daran, dass Belle ihm viel bedeutet hatte und immer noch bedeutete.
»Zeit
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