Der Zauber eines fruehen Morgens
Verwundeten ins Lazarett zu bringen.
Die Verzögerung war für alle zermürbend, und ohne den erhöhten Bahnsteig war es noch schwerer als sonst, die Tragen mit den Verletzten aus dem Zug zu heben. Die Stimmung war gereizt. Der furchtbare Unfall hatte Fahrer und Träger zutiefst erschüttert, und darunter litt auch ihre Arbeit.
Belle musste weitermachen; bei so vielen Schwerverwundeten,die dringend operiert und versorgt werden mussten, blieb ihr nichts anderes übrig. Aber das Entsetzen über das, was sie mit angesehen hatte, und die Trauer über Mirandas Verlust ließen sich nicht verdrängen. Alf stand unter Schock. Man hatte ihn ins Lazarett gebracht, doch er jammerte ständig allen die Ohren voll, dass er nichts unversucht gelassen hatte, um Miranda dazu zu bringen, aus dem Wagen zu steigen. Eins stand fest: Sie war nicht vor Schreck erstarrt gewesen – bis zur letzten Minute hatte sie tapfer versucht, den Rettungswagen von den Schienen zu bugsieren, weil sie befürchtet hatte, er könnte den Zug zum Entgleisen bringen.
Erst spät am Nachmittag konnten Soldaten Mirandas Leichnam aus dem Wrack bergen. Noch immer goss es in Strömen, und alle wurden bis auf die Haut nass, was diesen unvorstellbar grauenhaften Tag noch schlimmer machte.
Als Belle und David kurz vor acht Uhr abends mit ihrer letzten Fuhre von Verwundeten im Lazarett eintrafen, wartete auf sie die Nachricht, dass sie sich bei Captain Taylor melden sollten.
»Das hat uns gerade noch gefehlt«, stöhnte David, der Belle den ganzen Tag über eine Stütze gewesen war. Er hatte ihr heißen, süßen Tee gebracht, sie getröstet, ihre Tränen getrocknet und all die Leute abgewimmelt, die sie mit Fragen hatten bestürmen wollen. Aber auch er hatte Miranda sehrgern gehabt, auch er war Zeuge des grauenvollen Unfalls gewesen, und er war so blass, als würde er jeden Moment ohnmächtig werden.
Captain Taylor war ein ausgezeichneter Organisator, doch er konnte mitunter recht schroff zu seinen Untergebenen sein, und es war kein Geheimnis, wie wenig er von weiblichen Rettungsfahrern hielt. Belle und David rechneten damit, dass er auf Mirandas Tod mit unbeugsamer Härte reagieren würde, falls sich herausstellte, dass sie das Problem mit der Gangschaltung nicht gemeldet hatte.
Er telefonierte gerade, als sie sein Büro betraten, und bedeutete ihnen zu warten. Ihre Kittel waren so triefend nass, dass von ihnenWasser auf den Boden tropfte, und Belle und David war furchtbar kalt, wahrscheinlich vor allem aufgrund des Schocks.
Captain Taylor war untersetzt und stämmig und hatte graues Haar und einen Schnauzbart. Seine Uniform war stets makellos, als bügelte er sie täglich, und es war allgemein bekannt, dass er als Zivilist Bankbeamter gewesen war. Während er in den Apparat sprach, wanderte sein Blick an Belle auf und ab, als wäre er entsetzt, dass sie wie eine nasse Ratte aussah.
»Sie sind völlig durchnässt«, bemerkte er, als er den Hörer auflegte. »Ich werde Sie nicht lange aufhalten, doch ich muss Ihre Version des heutigen Vorfalls hören.«
»Der Posten am Bahnübergang war nicht besetzt, Sir«, erklärte Belle. »Wir dachten beide, dass kein Zug erwartet würde.«
Sie fand, dass sie diese Tatsache als Erstes melden musste, weil das der Grund für den Unfall war. Die mangelhafte Gangschaltung war zweitrangig.
»Parks«, sagte Captain Taylor zu David. »Schildern Sie mir, was passiert ist! Einen vollständigen Bericht, wenn ich bitten darf!«
David bestätigte, dass niemand den Bahnübergang bewacht hatte, und erklärte dann, wie sie, kurz nachdem sie die Gleise passiert hatten, bemerkt hatten, dass Miranda zurückgeblieben war, und deshalb stehen geblieben waren. »Ich wollte ihr vorschlagen, aus ihrem Wagen zu steigen und mit uns weiterzufahren, Sir«, berichtete er. Dann beschrieb er ihre Sorge, als sie den Zug kommen hörten. »Der Rettungswagen stand mitten auf dem Übergang. Wir konnten sehen, wie sie versuchte, den Gang einzulegen. Als wir den Zug nahen hörten, rannten wir los und riefen ihr und Alf Dodds zu, sofort auszusteigen. Direkt vor dem Übergang ist eine Kurve, und wir wussten, dass der Lokführer nicht mehr rechtzeitig würde bremsen können, wenn er den Wagen sah.«
»Hat Forbes-Alton einem von Ihnen gegenüber erwähnt, dass es Probleme mit der Schaltung gab, bevor sie losfuhr?«
»Sie hat Sonnabend davon gesprochen, dass sie beim Schalten Mühe hatte, Sir«, antwortete Belle.
»Aber sie hat es nicht gemeldet?«
»Das
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