Der Zauber eines fruehen Morgens
treffen. Was ist, wenn Captain Taylor ihn nicht erreicht?«
»Das wird er schon. Nach allem, was du gesagt hast, würde er sich nicht trauen, nichts zu unternehmen. Aber was ist mit dir? Wirst du zum Begräbnis nach England fahren?«
Belle starrte ihn benommen an; sie konnte an nichts anderes als an den Schmerz in ihrem Inneren denken.
David schien zu verstehen, wie ihr zumute war. Er begleitete sie schweigend zu ihrer Baracke, öffnete die Tür und schob sie sanft hinein. »Bitte eines der anderen Mädchen, dir eine Wärmflasche zu bringen!«, sagte er. »Und bleib morgen im Bett!«
Am nächsten Tag hörte es auf zu regnen, und die Sonne kam zum Vorschein. Belle blieb in ihrem Quartier, wo sie viel weinte, wenn sie an all die Dinge dachte, die sie an Miranda geliebt hatte. Dann wieder starrte sie blicklos an die Decke. Als die anderen Mädchen am frühen Abend wiederkamen, brachten ihre Anteilnahme und fürsorglichen Fragen, wie es ihr gehe und ob sie etwas gegessen habe, Belle erneut zum Weinen. Unter dem Vorwand, frische Luft schnappen zu wollen, schlüpfte sie hinaus und setzte sich auf die Stufe vor der Eingangstür.
Die Pfützen vom Vortag waren schon viel kleiner geworden; es war warm, und alles sah frisch und sauber aus. Belle fühlte sich seltsam betäubt, und sie fragte sich, ob diese Benommenheit ein Abwehrmechanismus der menschlichen Natur war, um Leid zu verkraften. Sie wusste, dass sie Mirandas Sachen packen und den Forbes-Altons schreiben sollte, doch dazu war sie noch nicht imstande. Sie konnte sich nicht einmal auf einen Brief an Jimmy oder Mog konzentrieren.
So viele glückliche Erinnerungen an Miranda kamen ihr in den Sinn. Belle sah vor sich, wie sie in ihrem Laden Hüte probierte und vor dem Spiegel Grimassen schnitt, und dachte daran, wie oft sie gelacht hatten, als Miranda ihr das Autofahren beigebracht hatte, und daran, wie ihre Freundin sie nach dem Verlust ihres Babys getröstet hatte. Belle erinnerte sich an Mirandas Talent, andere Leute nachzuahmen, und an ihre sarkastischen kleinen Seitenhiebe, die immer witzig und zutreffend gewesen waren. Aber Miranda war nie mit Absicht unfreundlich gewesen, sie war großzügig, liebevoll und loyal gewesen. Für Belle hatte stets festgestanden, dass sie noch als alte Damen Freundinnen sein würden. Sie wussten alles voneinander, Gutes wie Schlechtes. Miranda war der Mensch, bei dem Belle immer das Gefühl gehabt hatte, ganz sie selbst sein zu können. Sie konnte sich nicht vorstellen, noch einmal eine Freundin wie sie zu finden.
»Sag mir ruhig, dass ich verschwinden soll, wenn du lieber allein sein willst!«
Belle zuckte zusammen, als sie Veras Stimme hörte. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass die Tür geöffnet worden war.
Vera war ein sehr lebhafter und fröhlicher Mensch und für ihre unerschütterlich gute Laune bekannt. Sogar die griesgrämigsten Fahrer und Träger fanden, dass sie mit ihrem Lächeln und ihrer Hilfsbereitschaft ein wahrer Schatz war.
Ihr hübsches, zartes, sommersprossiges Gesicht, das lockige rote Haar und die schmale Gestalt täuschten darüber hinweg, wie kräftig sie war. Vera hatte einmal im Scherz gesagt, dass sie schon alsKind Muskeln entwickelt hatte, als sie ihrem Vater in seiner Bäckerei beim Teigkneten geholfen hatte.
»Nein, bleib ruhig hier!«, sagte Belle. Sie erinnerte sich plötzlich daran, dass es Vera war, die ihr Gesellschaft geleistet hatte, wenn Miranda sich mit Will getroffen hatte. »Ich glaubte, allein sein zu wollen, aber eigentlich möchte ich es doch nicht.«
»Ihr zwei habt euch so nahegestanden, dass du dir ein Leben ohne sie wahrscheinlich gar nicht vorstellen kannst«, meinte Vera und setzte sich neben sie.
»Du sagst es«, erwiderte Belle bedrückt. »Weißt du, ich hatte immer das Gefühl, dass von uns beiden ich diejenige war, von der stets die Initiative ausging. Ich hatte die Ideen, sie hat mitgemacht. Aber ohne sie habe ich das Gefühl, dass ich nie wieder Ideen haben oder Pläne schmieden werde. Gerade vorhin habe ich mir gedacht, wie seltsam das eigentlich ist; schließlich wäre ich auch ohne sie zurechtgekommen, wenn sie mit Will durchgebrannt wäre oder beschlossen hätte, nach Hause zu fahren.«
»Aber was jetzt passiert ist, hast du nicht kommen sehen, und es ist endgültig, das ist das Schlimme daran«, erwiderte Vera. »Keine von uns anderen hat sie wirklich näher gekannt, doch wir sind auch völlig erschlagen. Den Fahrern und Trägern geht es genauso, jedem
Weitere Kostenlose Bücher