Der Zauber eines fruehen Morgens
Beerdigung zu kommen«, erzählte Belle und musste wieder weinen. »Wenigstens ist Ihnen diese fürchterliche Schreckschraube als Schwiegermutter erspart geblieben«, schluchzte sie. »Ich fasse es nicht, dass sie mir die Schuld gibt!«
»He, nehmen Sie sich das nicht so zu Herzen!«, meinte er und legte einen Arm um ihre Schultern. Auch ihm liefen Tränen übers Gesicht. »Miranda hat gesagt, ihr sei es egal, ob sie ihre Mutter je wiedersieht. Zu dem Zeitpunkt dachte ich, dass sie sich bloß ein bisschen gestritten haben, aber wahrscheinlich war Miranda wirklich mit ihr fertig. Tun Sie es sich nicht an, dort hinzufahren, nur um ihren Kopf durchzusetzen.«
»Ich wollte doch nur Miranda auf ihrer letzten Reise begleiten«, weinte Belle. »Wir haben einander sehr viel bedeutet, und ich finde es einfach furchtbar, dass sie diesen Weg allein antreten muss. Wie kann ein Mensch nur so grausam und gemein sein?«
»Da bin ich überfragt«, gestand er bekümmert. »Kein Wunder, dass Miranda ihrer Familie nicht einmal nach unserer Heirat etwas von uns erzählen wollte! Aber was halten Sie davon, wenn ich morgen Abend mit einem Strauß Blumen komme und wir beide zum Bahnübergang gehen und dort von Miranda Abschied nehmen?«
Belle schniefte. »Das wäre schön.«
»Sie hat Sie geliebt wie eine Schwester«, meinte Will und drückte ihre Schultern. »Sie hat gesagt, Sie zu treffen war das Beste, was ihrim Leben passiert ist … na ja, wenigstens, bis sie mir begegnet ist. Jetzt ist uns beiden das Herz gebrochen worden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mich je davon erholen werde, doch ich weiß, dass Miranda sich wünschen würde, dass Sie wieder lachen und mit Ihrem Mann glücklich werden. Erfüllen Sie ihr diesen Wunsch!«
»Ich werd’s versuchen«, flüsterte Belle. Sie war zutiefst gerührt, dass Will sie tröstete, obwohl er selbst völlig gebrochen war. »Ich sollte jetzt wohl lieber reingehen. Captain Taylor hat uns zwar gewissermaßen die Erlaubnis gegeben, miteinander zu reden, aber man wird es vielleicht trotzdem missbilligen, wenn wir zu lange hier draußen sitzen.«
»Können wir uns morgen sehen? Ich warte außerhalb der Umzäunung, an der Stelle, wo ich mich immer mit Miranda getroffen habe.«
Belle nickte. »Ich bin froh, dass Sie gekommen sind. Ich habe mir solche Sorgen um Sie gemacht! Ich war es, die Captain Taylor gesagt hat, dass er Sie verständigen muss. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten sogar ihre Eltern bloß ein Telegramm bekommen.«
»Danke, dass Sie angegeben haben, dass ich ihr Verlobter war!«, erwiderte Will. »Es hat mir das Gefühl gegeben, dass ich wirklich einen Anspruch auf sie hatte, wenn Sie verstehen, was ich meine. Und wenn Sie mir morgen die Adresse von Mirandas Eltern geben, schreibe ich ihnen einen Brief, der ihnen klarmacht, dass Miranda etwas ganz Besonderes war.«
Belle schenkte ihm ein zittriges Lächeln. Will war einer der nettesten Männer, die sie kannte – alles, was Miranda sich erträumt hatte.
»Und ich werde ihnen sagen, was für ein Schatz Sie sind«, fügte er hinzu. »Wir bleiben in Verbindung, ja? Wenn das hier ausgestanden ist, komme ich vielleicht mal nach England, um Sie und Ihren Mann kennenzulernen. Er hat Glück, eine Frau wie Sie zu haben, zu der er zurückkehren kann.«
Nachdem Will sich verabschiedet hatte, ging Belle in ihre Unterkunft und packte mit Veras Hilfe Mirandas Sachen. Sie fand den Abzug der Fotografie, die Miranda und sie vor ihrer Abfahrt aus England hatten aufnehmen lassen. Ihre Kleider ähnelten einander im Stil, mit locker fallenden Rüschen am Oberteil und einer breiten Schärpe um die Taille. Belles Kleid war aus grüner Waschseide, Mirandas aus blau-beige gestreiftem Crêpe, und beide trugen sie schicke kleine Hüte, die Belle angefertigt hatte. Die Sepiafärbung der Fotografie ließ keine Rückschlüsse auf die Farben der Kleider und Hüte zu, aber ihr Lächeln war unverfälscht. Sie waren so aufgeregt gewesen, weil sie bald nach Frankreich gehen würden. Belle dachte, dass sie die Aufnahme Will schenken würde, da sie ihren eigenen Abzug hatte, von dem sie sich nie trennen wollte.
Als sie das dunkelrote Samtkleid sah, erriet sie, dass Miranda es an ihrem letzten Abend mit Will getragen hatte, und drückte es an sich, um das Parfüm einzuatmen, das immer noch in dem Stoff hing. Es war eine Versuchung, es einfach zu behalten, doch es sah aus, als hätte es ein kleines Vermögen gekostet, und womöglich bezichtigte
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