Der Zauber eines fruehen Morgens
nicht in der Lage sein würde, auf Krücken zu gehen. Sie brachte es nicht übers Herz, weil alle so nett und fürsorglich waren.
In den frühen Morgenstunden schrieb Belle, die keinen Schlaf fand, einen letzten Brief an Etienne. Sie erzählte ihm, was Jimmy zugestoßen war.
Du verstehst sicher, dass sich dadurch alles geändert hat und ich jetzt meinem Mann zur Seite stehen muss, fügte sie hinzu.
Sie hätte ihm gern noch viel mehr geschrieben: dass sich ihr Herz anfühlte, als wäre es entzweigebrochen, und dass sie sein Bild bis zu ihrem Todestag vor Augen haben würde. Aber sie wusste, dass es nicht richtig wäre, diese Dinge auszusprechen. Daher schloss sie mit der Hoffnung, er möge heil und unversehrt bleiben, und wünschte ihm alles Gute und viel Glück für die Zeit nach dem Krieg.
Eine Woche später kam Jimmy mit einem der Verwundetenzüge. Es war Sally, die ihn am Bahnhof abholte, und sie gab die Neuigkeitsofort an Belle weiter, als sie nachmittags in ihren Wagen aneinander vorbeifuhren.
»Er macht einen ganz guten Eindruck und scheint nicht allzu starke Schmerzen zu haben«, rief sie aus dem Fenster. »Kann es natürlich nicht erwarten, dich zu sehen. Ich habe ihn auf Station K gebracht.«
Ohne sich zu waschen oder umzuziehen, rannte Belle sofort nach Dienstende zur Station K. Einerseits fürchtete sie sich, andererseits wollte sie es so schnell wie möglich hinter sich bringen. Auch wenn sie schon unzählige Männer mit furchtbaren Verletzungen gesehen hatte, das hier war etwas anderes. Es war ihr Jimmy.
»Er ist da drüben in der Ecke.« Schwester Swales zeigte auf den hinteren Teil des Krankensaals. »Aber ich warne Sie, er ist ziemlich erledigt.«
Schwester Swales war nicht Belles Lieblingsschwester. Sie war um die vierzig, stämmig, und sie behandelte alle Freiwilligen und Hilfskräfte mit größter Verachtung. Belle hatte erst einmal auf ihrer Station ausgeholfen, und Schwester Swales war so abweisend gewesen, dass Belle sich geschworen hatte, nie wieder einen Fuß in diese Station zu setzen. Sie fürchtete sich sogar davor, neue Patienten bei Schwester Swales abzuliefern, weil sie unweigerlich grob war. Doch die Ärzte und die anderen Oberschwestern behaupteten, sie sei eine der besten Pflegekräfte im ganzen Lazarett.
»Wissen Sie, ob es dafür einen bestimmten Grund gibt?«, fragte Belle.
Die Schwester sah sie von oben herab an. »Wenn Sie einen Arm und ein Bein verloren hätten, wären Sie auch nicht guter Dinge.«
»Natürlich nicht.« Belle zügelte ihre Ungeduld; sie war auf das Wohlwollen dieser Frau angewiesen. »Ich meinte, dass mein Mann normalerweise ein sehr ausgeglichener, freundlicher Mensch ist, und ich wollte wissen, ob es vielleicht auch noch einen medizinischen Grund für seine Verfassung gibt.«
»Nicht, dass ich wüsste. Vielleicht erzählt er Ihnen, was ihn beschäftigt. Aber bleiben Sie nicht zu lange! Er braucht Ruhe.«
Jimmy lag in seinem Bett und starrte an die Decke. Er wandte nicht den Kopf, als Belle näher kam. Sein rechter Arm steckte in einem Krankenhauspyjama, der Stumpen auf der linken Seite im anderen Ärmel. Unter der Bettdecke befand sich ein Drahtgestell, um seinen Beinstumpf zu schützen, und auf der linken Wange hatte er eine frische Narbe.
»Mein Liebling«, rief Belle mit gebrochener Stimme. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es ist so schrecklich, und es tut mir so unendlich leid.«
Er wandte sich zu ihr um und versuchte zu lächeln. »Es muss dir nicht leidtun, das ist nun mal das Lotteriespiel des Krieges. Aber jetzt bin ich zu nichts mehr zu gebrauchen. Es wäre besser, wenn ich an meinen Verletzungen gestorben wäre.«
»Sag das nicht!«, tadelte sie ihn und beugte sich vor, um ihn zu küssen. »Ich liebe dich und brauche dich, und ich bin glücklich, dass du noch am Leben bist. Das ist ein furchtbarer Schock für dich, und es ist kein Wunder, wenn du dich elend fühlst, aber mit der Zeit wird es besser werden.«
»Was meinst du damit? Glaubst du, mir wächst ein neues Bein nach?«
Sein Sarkasmus tat weh, doch sie wusste, dass ihre Worte reichlich banal geklungen haben mussten. Aber sie hatte keine Ahnung, wie sie in Worte fassen sollte, was sie empfand, oder wie sie ihn trösten konnte. Was konnte man schon zu einem geliebten Menschen sagen, der zwei Gliedmaßen verloren hatte?
»Natürlich nicht. Ach, Jimmy, ich finde einfach nicht die richtigen Worte!«, murmelte sie verzagt. »Es ist entsetzlich, grauenvoll, doch wir werden im
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