Der Zauber eines fruehen Morgens
Lauf der Zeit damit zurechtkommen. Das weiß ich einfach. Vergiss nicht, ich sehe ständig Verwundete! Es ist erstaunlich, wie einige von ihnen mit ihrer neuen Situation fertigwerden.«
»Erspare mir bitte das aufmunternde Blabla!«, sagte er schroff und wandte sich ab.
»Schau mich gefälligst an, Jimmy Reilly!«, forderte sie. »Es ist passiert, wir können es nicht rückgängig machen, und wir werden beide lernen müssen, damit zu leben. Geh nicht auf mich los, ich habe dich nicht gezwungen, zur Armee zu gehen.«
Er antwortete nicht, starrte nur an die Decke.
»Wenn du nicht mit mir reden willst, kann ich ja wieder gehen«, sagte sie nach einer Weile. »Ich arbeite seit sieben Uhr morgens und habe seit heute Mittag nichts mehr gegessen.«
Er seufzte. »Tut mir leid, Liebes«, erwiderte er leise. »Ich habe immer geglaubt, dass ich einer von den Glückspilzen bin, die unversehrt nach Hause kommen. An dem Tag hatte ich nicht mal Angst. Als ich losrannte, dachte ich bloß, bring’s hinter dich, dann bist du morgen wieder hinter der Frontlinie und in Sicherheit. Und plötzlich macht es peng , und eine Granate explodiert, und ich fliege durch die Luft.«
Belle streckte ihre Hand aus und streichelte seine Wange. »Captain Taylor hat mir erzählt, dass ein Franzose dich gerettet hat.«
»Ja, das stimmt. Er hievte mich auf seinen Buckel und schleppte mich zurück. Komisch, ich könnte schwören, dass er mich mit meinem Namen angesprochen hat, aber vielleicht habe ich mir das nur eingebildet.«
»Du hast ihn also nicht gekannt?«
»Nein. Wenigstens glaube ich es nicht. Meine Erinnerungen sind ziemlich verschwommen. Keine Ahnung, warum er mich hochgehoben hat, wir sollten doch den Angriff fortsetzen. Und ich hatte schon gesehen, wie ein paar Franzmänner getroffen wurden und dort im Schlamm liegen blieben. Ich frage mich heute noch, warum er mir geholfen hat und seinen eigenen Leuten nicht.«
»Nun, ich bin froh, dass er es getan hat«, sagte sie und küsste ihn auf die Wange. »Und jetzt musst du wieder zu Kräften kommen, damit wir nach Hause fahren können.«
»Nichts wird jemals wieder so sein, wie es einmal war.« Seine Stimme zitterte, und Tränen traten ihm in die Augen. »Ich werde mich nicht einmal allein in einem Rollstuhl fortbewegen können,weil ich nur noch einen Arm habe. Ich bin jetzt völlig hilflos, Belle.«
»Nicht ganz. Dein rechter Arm ist in Ordnung, und je nachdem, an welcher Stelle dein linker amputiert worden ist, könntest du nach einer Weile mithilfe einer guten Prothese vielleicht sogar auf Krücken gehen. Dein Verstand, deine Augen und Ohren und deine Stimme, all das funktioniert, und deine Innenorgane sind unverletzt. Ich habe Männer gesehen, die schlimmer beisammen waren als du.«
»Aber wie lange wird es dauern, bis du es leid bist, dich um mich zu kümmern?«, entgegnete er. »Ich will nicht an dein Mitleid appellieren, Belle, ich bin einfach realistisch. Ich bin kein Mann mehr, ich kann nicht arbeiten und dich erhalten. Du bist jung und schön und solltest dich nicht mit einem Krüppel belasten.«
»Ich habe dich geheiratet, um in guten wie in schlechten Zeiten zu dir zu stehen«, sagte sie beschwichtigend. »Wenn ich es wäre, die mit solchen Verletzungen in diesem Bett läge, würdest du dich um mich kümmern, das weiß ich. Warum also glaubst du, ich könnte es leid werden, für dich da zu sein?«
Er sah sie nur an, und seine Augen, die normalerweise so warm waren, waren jetzt kalt wie bernsteinfarbenes Glas. »Geh essen! Ich bin jedenfalls froh, dass ich jetzt hier in deiner Nähe bin, und vielleicht sehe ich morgen schon alles ein bisschen rosiger.«
Belle strich ihm die Haare aus der Stirn. Sie wusste nicht, was sie ihm noch sagen sollte, um ihn davon zu überzeugen, dass sie immer noch eine gemeinsame Zukunft hatten. Auch für sie sah die Zeit, die vor ihnen lag, düster aus. Doch sie wusste, sie wollte sich um ihn kümmern, koste es, was es wolle.
Wenn Vera und David nicht gewesen wären, hätte Belle die nächsten Tage nicht durchgestanden. Körperlich erholte Jimmy sich gut, es gab keinerlei Anzeichen für eine Infektion, aber seine Stimmung schlug ständig um. Einen Moment war er in sich gekehrt undschweigsam, im nächsten wurde er so wütend, dass er sogar die Krankenschwestern anbrüllte. Außerdem litt er an Albträumen.
»Das war nicht anders zu erwarten«, meinte David schulterzuckend, als Belle es ihm erzählte. »Ich wette, wenn du nicht hier wärst,
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