Der Zauber eines fruehen Morgens
Selbstlosigkeit, und weil ich weiß, dass ich ums Leben kommen kann, bevor dieser Wahnsinn aufhört, habe ich mein Testament und meinen kleinen Hof und alles, was ich an Geld besitze, dir hinterlassen. Ich habe Noah als nächsten Angehörigen angegeben, weil er der einzige Mensch ist, den ich in England kenne, bei dem ich darauf vertrauen kann, dass er dir dein Erbe auch wirklich übergibt.
Sollte dieser Fall eintreten, muss Jimmy daran nichts eigenartig oder verdächtig finden. Er weiß, dass ich damals in Paris dein Freund und Retter war und keine Familie habe, der ich etwas vermachen könnte.
Natürlich habe ich nicht vor, mich umbringen zu lassen. Ich will nach dem Krieg auf meinen kleinen Bauernhof zurückkehren und den Rest meiner Tage damit verbringen, Zitronen zu ziehen und Hühner zu züchten. Eine andere Frau wird es für mich nie mehr geben, weil keine den Platz einnehmen könnte, den du in meinem Herzen hast.
Ich bete dafür, dass Jimmy und du miteinander glücklich werdet, und auch ich wünsche mir, ich hätte schon damals in Paris ausgesprochen, wie es in meinem Herzen aussieht, und dich bei mir behalten. Ich werde dir nicht mehr schreiben und auch nicht nach England kommen, um dich zu sehen. Ich weiß, dass ich dir die Möglichkeit geben muss, dein Leben neu aufzubauen. Falls ich dir Kummer bereitet habe, tut es mir aufrichtig leid; das war nie meine Absicht.
Auf ewig dein,
Etienne
Belle las diese Zeilen immer wieder und musste über Etiennes Edelmut weinen. Noch am selben Abend faltete sie den Brief zusammen, so klein es ging, trennte die Naht des Futters eines kleinen Beutels auf, in dem sie ihr Nähzeug verwahrte, schob den Brief hinein und schloss die Naht wieder. Alle anderen Briefe Etiennes hatte sie verbrannt, doch sie brachte es nicht übers Herz, sich von diesem zu trennen.
KAPITEL 21
Vera saß auf ihrem Bett und sah Belle beim Packen zu. »Du wirst mir schrecklich fehlen«, platzte sie heraus. Ihre Lippen bebten.
»Nicht so sehr, wie du mir fehlen wirst«, sagte Belle bedrückt. »Da Miranda nicht mehr lebt, habe ich zu Hause keine einzige Freundin, und wenn mir ihre Mutter über den Weg läuft, werde ich sie wahrscheinlich ohrfeigen.«
»Was ist mit deiner Mutter? Wirst du sie besuchen?«
Belle verzog das Gesicht. »Das bezweifle ich. Es war ihr nicht einmal die Mühe wert, auf den Brief zu antworten, in dem ich ihr geschrieben habe, wie es um Jimmy steht. Dem Himmel sei Dank für Mog! Zumindest sie wird sich freuen, mich zu sehen.«
»Du bringst Jimmy also direkt nach Hause?«, rief Sally ihr vom anderen Ende der Baracke zu.
Sally war seit Jimmys Verwundung viel netter geworden. Sie brühte Belle oft eine Tasse Tee auf, wenn sie von den Besuchen bei ihrem Mann zurückkam, und erkundigte sich immer nach seinem Befinden.
»Nein, er kommt in ein Genesungsheim in Sevenoaks. Ich bringe ihn noch hin und fahre dann nach Hause.«
Mittlerweile war es Oktober, und Jimmys Wunden heilten gut. An den Tagen, an denen es nicht regnete, fuhr Belle ihn häufig am Spätnachmittag in einem Rollstuhl spazieren. Aber sie konnte nicht behaupten, dass sich seine Stimmung verbessert hatte. Zu den anderen Patienten und den Krankenschwestern auf seiner Station war er nett und freundlich, doch sobald er mit Belle allein war, wurde er reizbar und düster.
Die Schlacht bei Ypern tobte immer noch. Erst vor Kurzem wares zu einem dreiwöchigen Bombardement gekommen, bei dem die Erste und Zweite Australische Division zum 23. und 41. Regiment der Briten gestoßen waren und einen Angriff auf die Straße von Menin durchführten. Die Deutschen zogen sich vor dem verheerenden Artilleriebeschuss zurück, und die Alliierten konnten endlich das Gheluvelt Plateau einnehmen. Aber wie berichtet wurde, konnte auf dem halb überfluteten Schlachtfeld von Ypern kein entscheidender Sieg verzeichnet werden. Wenn die Alliierten ein paar Hundert Meter Boden gewannen, eroberten die Deutschen ihn bald zurück. Viele Leute fanden, dass es ein völlig sinnloser Kampf war, den General Haig endlich einstellen sollte.
Aber anscheinend war Haig der Verlust von Menschenleben egal, und auch der gesunde Menschenverstand schien bei ihm zu versagen. Da die britische Armee am Ende ihrer Kräfte war, baute er darauf, dass die kanadischen, australischen und neuseeländischen Truppen eroberten, was von dem Dorf Passchendaele geblieben war. Im Lazarett fürchteten sich alle vor einem neuen Zustrom an Verwundeten, und für Vera, deren zwei
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