Der Zauber eines fruehen Morgens
verloren hatte, bastelte gerade an einem Schiffsmodell.
Dort hatten sie auch ihren Tee mit süßen Brötchen, belegten Broten und Kuchen genommen. Alles hatte köstlich geschmeckt, doch Jimmy hatte kaum ein Wort gesagt.
»Wenn Sie ihn besuchen wollen, rufen Sie mich einfach an, dann hole ich Sie entweder selbst ab oder schicke jemand anders«, meinte Mr. Gayle und reichte ihr seine Karte. »Wir sind uns darüber im Klaren, wie schwierig es für die Ehefrauen und Mütter der Verwundeten sein kann, vor allem für diejenigen, die kleine Kinder haben und weit entfernt wohnen.«
»Ich habe schon überlegt, ob ich hier vielleicht irgendwo eine Unterkunft finden kann. Das würde mir die Besuche erleichtern«, sagte Belle. »Glauben Sie, das wäre möglich?«
»Ich kann mal meine Fühler ausstrecken«, erwiderte er. »Wären Sie vielleicht bereit, auch hier Fahrten zu übernehmen, wenn Sie schon in Frankreich Rettungswagen chauffiert haben?«
»Auf jeden Fall. Ich habe außerdem am Royal Herbert als Hilfspflegerin gearbeitet, bevor ich nach Frankreich ging«, erklärte sie. »Das würde ich auch gern wieder machen.«
»Sie sind eine sehr tapfere junge Dame«, sagte er und warf ihr von der Seite einen Blick zu. »Hoffentlich fängt sich ihr Mann wieder! Er sollte alles annehmen, was ihm an Hilfe geboten wird.«
»Er kommt bestimmt wieder zur Besinnung«, meinte Belle. »Ich werde ihn ein paar Tage in Ruhe lassen, damit er sich eingewöhnen kann. Er scheint immer besonders schlechter Laune zu sein, wenn ich bei ihm bin.«
»Wahrscheinlich hat er Angst, Sie zu verlieren«, gab Mr. Gayle zurück. »Männer können so dumm sein! Oft gehen sie genau auf die Menschen los, die sie am meisten in Ehren halten sollten.«
Belle blieb einen Moment stehen, als sie in Blackheath aus dem Bahnhofsgebäude trat. Es schien, als wären seit jenem Morgen im April, als Miranda und sie sich auf den Weg nach Frankreich gemacht hatten, Jahre vergangen. Dabei war es erst sechs Monate her. Sie erinnerte sich, wie sehr sie sich bemüht hatten, gelassen und abgeklärt zu wirken, weil Mirandas Eltern und auch Mog und Garth sie begleiteten, obwohl ihnen in Wirklichkeit vor Aufregung ganz schwindlig gewesen war. Die ganze Fahrt nach Dover hatten sie gelacht, ohne zu ahnen, dass sie sich für eine Arbeit gemeldet hatten, die ihnen alles abverlangen würde und kein bisschen glamourös war.
Innerhalb von drei Monaten hatten sie an ihren Armen Muskeln bekommen, auf die ein Preisboxer stolz gewesen wäre, sie hatten Läuse gehabt und waren so oft im Matsch ausgerutscht, dass sie es kaum noch registrierten. Sie hatten kaum jemals Zeit, sich anständig zu frisieren; im besten Fall konnten sie sich die Haare waschen und zu einem festen Knoten schlingen. An manchen Tagen wurden sie vom Regen bis auf die Haut durchnässt, an anderen waren sie schweißgebadet. Sie lebten in einer Baracke, die sich Mirandas Meinung nach nicht einmal für Vieh eignete, und aßen, was sie daheim keines Blickes gewürdigt hätten. Sie wussten, dass sie nur ein winziges Glied in der langen Kette von Kriegsfreiwilligen darstellten, aber es erfüllte sie mit Stolz, die Verwundeten so schnell und doch behutsam wie möglich ins Lazarett zu bringen und ihnen Mut zuzusprechen, so gut sie es vermochten.
Miranda hatte die große Liebe gefunden, von der sie geträumt hatte. Vielleicht waren ihr nur einige wenige Wochen mit Will vergönnt gewesen, aber wenigstens war sie nicht gestorben, ohne das Glück wahrer Leidenschaft erlebt zu haben.
Als Belle über die Straße zu den einladenden Lichtern des Railway Inn schaute, wusste sie, dass sie sich hüten musste, Mog merken zu lassen, dass auch sie selbst dieses Glück gefunden hatte. Obwohl Mog sie wohl kaum verurteilen würde, würde es ihr selbst noch schwerer fallen, Etienne aus ihrem Gedächtnis zu löschen, wenn Mog über diese Romanze Bescheid wusste.
Sie blickte die Straße hinauf und hinunter; alles sah im Licht der Gaslaternen aus wie immer. Mog und Garth würden ihr ein warmes Willkommen bereiten, sie würden sie in die Arme nehmen und ihr versichern, dass sie und Jimmy bei ihnen immer ein Zuhause hätten. Doch die anderen Menschen hier würden Belle mit Verachtung begegnen. Und damit musste sie einstweilen leben.
Sie hob ihren Koffer auf, straffte entschlossen die Schultern und überquerte die Straße.
»Belle! Ich dachte schon, du kommst überhaupt nicht mehr!«, rief Mog, als sie ihr die Tür öffnete. »Du musst völlig
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