Der Zauber eines fruehen Morgens
Weste, die Mog für ihn gestrickt hatte, sah er völlig verändert aus. »Willkommen daheim, Jimmy!«, rief sie aus und wollte schon eine Hand ausstrecken, um ihn am Arm zu fassen, als ihr einfiel, dass es die Prothese war. Stattdessen öffnete sie rasch die hintere Wagentür, um seine Krücken herauszuholen.
Jimmy hatte sich einige Techniken angeeignet, um sich ohne Hilfe bewegen zu können, und Belle hatte bereits festgestellt, dass er es nicht gut aufnahm, wenn man ihm helfen wollte. Bis sie die Krücken geholt hatte, hatte er sich schon auf dem Beifahrersitz umgedreht und sein intaktes Bein auf den Boden gestellt.
»Gib her!«, meinte er, und indem er nach einer Krücke griff und sie sich unter den rechten Arm klemmte, schaffte er es, sich ohne Hilfe hochzustemmen und auf einem Bein zu balancieren. Wie immer versetzte der Anblick des aufgerollten leeren Hosenbeins Belle einen Stich, doch ihr war klar, dass sie sich alle an dieses Bild gewöhnen mussten.
»Wenn du die jetzt bitte unter meinen Arm schieben könntest«, sagte er und zeigte auf die zweite Krücke. Dann hakte er die künstlichen Finger seiner Prothese um einen Griff an der Krücke und humpelte behände auf die Seitentür des Pubs zu.
Es war eine große Versuchung, ihn für seinen geschickten Umgang mit den Krücken zu loben, aber da Belle wusste, wie zuwider es ihm war, wenn sich jemand dazu äußerte, folgte sie ihm schweigend und unterdrückte den Impuls, eine Hand auszustrecken, falls er stolpern sollte. »Kommen Sie, Mr. Gayle!«, rief sie, sowie sie gesehen hatte, dass Jimmy es in die Diele geschafft hatte. »Sie lechzen bestimmt nach einer Tasse Tee.«
Garth, der schon im Hintergrund wartete, packte trotz ihrer eindringlichen Ermahnungen Jimmy sofort am Arm.
»Lass das!«, sagte sein Neffe barsch. »Du bist mir bloß im Weg.«
»Wie war er auf der Heimfahrt?«, fragte Belle Mr. Gayle leise.
»Sehr ruhig, hat kaum was gesagt«, flüsterte er zurück. »Ist ihm nicht leichtgefallen, seine Freunde zu verlassen, doch das war zu erwarten. Dass wir nur langsam vorankamen, als wir erst mal im Nebel steckten, war keine Hilfe. Ich konnte sehen, wie seine Anspannung mit jedem Kilometer wuchs.«
In der Küche setzte sich Jimmy in den Lehnstuhl beim Ofen und lehnte die Krücken neben sich. Er wirkte unruhig und sah sich um, als wäre er noch nie hier gewesen.
»Es ist so schön, dich wieder zu Hause zu haben!«, sagte Belle und bückte sich, um ihn zu umarmen und zu küssen. Sie war enttäuscht, dass er seinerseits keinerlei Bemerkung fallen ließ, wie froh er sei, daheim zu sein. »Wir sind alle furchtbar aufgeregt, aber sag es bitte gleich, wenn wir dir auf die Nerven gehen!«
»Warum solltet ihr mir auf die Nerven gehen?«, entgegnete er, doch weder ein Lachen noch ein Grinsen deutete an, dass seine Frage als Kompliment gemeint war.
»Du weißt schon, wenn wir zu viel reden oder dir zu viele Vorschriften machen oder wenn du einfach mal allein sein willst«, antwortete sie.
Sie tranken Tee, aßen Kuchen und unterhielten sich über Haddon Hall und die Fahrt hierher. Immer wieder entstand ein verlegenes Schweigen, das Mog mit munterem Geplauder zu überbrücken versuchte.
Mr. Gayle gab sein Bestes, um das Gespräch auf allgemeine Themen zu lenken. »Heute Morgen habe ich gehört, dass die Eisschicht auf den Teichen in Keston und Chislehurst dick genug ist, um Schlittschuh zu laufen. Ich kann mich nicht erinnern, dass es jemals vor Januar so stark gefroren hat. Und oben im Norden soll es angeblich schneien. Das wird viele Kinder freuen, auch wenn es für uns ältere Leute eher alarmierend ist.«
»Solange Kohle so teuer ist, werden viele nicht ausreichend heizen können«, ereiferte sich Garth. »Die Regierung redet ständig davon, die Preise zu senken, aber das glaube ich erst, wenn ich es sehe. Es ist ein Skandal, dass manche Leute dabei noch Profit machen.«
»Ich konnte kaum glauben, was die Nüsse diese Weihnachten kosten«, bemerkte Mog. »Brasilianische zu zwei Schilling das Pfund. Und Trockenfrüchte sind kaum zu bekommen. Ich bin froh, dass ich mir schon im Sommer welche besorgt habe, sonst gäbe es jetzt keinen Kuchen oder Weihnachtspudding.«
»Ich muss los«, verkündete Mr. Gayle fast sofort, nachdem er seinen Tee ausgetrunken hatte. »Meine Frau hat heute Abend Gäste eingeladen, und sie wird böse, wenn ich nicht rechtzeitig komme.«
Belle begleitete ihn noch zum Wagen, nachdem er sich von den anderen verabschiedet
Weitere Kostenlose Bücher