Der Zauber eines fruehen Morgens
besonderes Weihnachtsfest zu bescheren. In diesem Jahr bekamenauch sehr viele Soldaten, die an der Front waren, Urlaub. Garth hatte sich am Vorabend in der Kneipe die Füße wund gelaufen, und er rechnete damit, dass heute und morgen noch mehr Betrieb sein würde. Als Belle gestern Abend verstohlen in den Schankraum gespäht hatte, hatte sie ein Meer von Khakibraun gesehen. Die meisten Männer mussten heute mit Brummschädeln aufgewacht sein. Garth hatte erzählt, dass sie ohne Rücksicht auf Verluste getrunken hatten.
Belle hatte Kopfschmerzen vor Nervosität, und ihr war flau im Magen, als sie noch einen Blick in den Spiegel über dem Kamin warf, um ihr Aussehen zu überprüfen.
»Du siehst bildhübsch aus«, hatte Garth vorhin gesagt, aber sie fand das nicht. Durch die Ereignisse der vergangenen Monate war das Strahlen erloschen, das einmal von ihr ausgegangen war, und sie war zu dünn geworden. Ihre Augen wirkten zu groß für ihr Gesicht, und sie war sehr blass, weil sie kaum noch aus dem Haus ging.
Ihr hochgeschlossenes dunkelblaues Wollkleid mit den langen Ärmeln stammte von früher, und sie hatte es geändert, indem sie den Rock gekürzt und es enger gemacht hatte, damit es besser saß. Sie hatte versucht, es mit einem Spitzenkragen und Spitzenmanschetten zu verschönern, doch ganz war es ihr nicht gelungen. Es sah wie das aus, was es war: ein altes Kleid, das vorgab, neu zu sein.
Neue Kleidung würde es in absehbarer Zeit keine geben. Belle musste jetzt jeden Penny zweimal umdrehen, weil sie mit Jimmys Pension nicht weit kommen würden. Ein bisschen Geld von ihrem Laden war ihr noch geblieben, aber das musste sie für die Zukunft aufheben.
Auf der Straße herrschte trotz des dichten Nebels viel Betrieb. Belle konnte Leute reden, Babys schreien und Kinder plappern hören. Außerdem vernahm sie das Klappern von Stiefeln auf dem Bürgersteig, aber nur dann und wann konnte sie in den wirbelnden Nebelschwaden einen flüchtigen Blick auf jemanden erhaschen. Als sie einkaufen gegangen war, hatten vor allen Läden MenschenSchlange gestanden, und sie wusste, dass sie immer noch da draußen waren, verborgen im Zwielicht. Der Gemüseladen hatte mit seinen polierten roten Äpfeln, Orangen und Nüssen sehr festlich gewirkt, doch alles, was sie jetzt noch davon erkennen konnte, war ein matter Lichtschein. Beim Fleischer, der sich nur ein paar Häuser weiter befand, war sie stehen geblieben, um die Truthähne, Gänse und Hühner an den Wandhaken über dem weißen Marmortresen zu bewundern, auf dem große Stücke Rind, Schwein und Lamm ausgebreitet waren. Sie hatte gehört, wie sich andere Frauen darüber beklagten, wie teuer alles geworden war, aber in der Zeitung hatte an diesem Morgen gestanden, dass die Regierung beabsichtigte, gegen Kaufleute vorzugehen, die vom Lebensmittelmangel profitierten. In den ärmeren Vierteln von London würde man diesbezüglich vielleicht auch eingreifen, aber Belle bezweifelte, dass man in wohlhabenden Gegenden wie Blackheath derartige Maßnahmen durchführen würde.
Während sie aus dem Fenster schaute, sah sie, wie ein Wagen im Schneckentempo die Straße hinaufkroch und im Nebel verschwand. Automobile waren inzwischen so verbreitet, dass man sie kaum noch zur Kenntnis nahm, und obwohl der Bäcker, der Milchmann und der Kohlenhändler ihre Waren immer noch mit Pferd und Wagen auslieferten, würden Pferdefuhrwerke aller Wahrscheinlichkeit nach innerhalb der nächsten zehn Jahre von den Straßen verschwinden. Belle hoffte, dass Jimmy und sie dann schon woanders wohnten.
Garth ging ihr mit seinen Vorurteilen gegen Frauen auf die Nerven. Sie wusste, dass sich seine Einstellung nicht verschlimmert hatte; sie selbst war es, die durch ihren Aufenthalt in Frankreich eine andere Sichtweise erlangt hatte. Seine abfälligen Bemerkungen und seine Weigerung, irgendeine Tätigkeit zu verrichten, die in seinen Augen Frauensache war, störten sie zunehmend. Mog mochte sich damit abfinden, sich ihm unterzuordnen, aber Belle hatte nicht vor, ihrem Beispiel zu folgen, nicht einmal um des lieben Friedens willen.
Endlich entdeckte sie Mr. Gayles Wagen und lief nach unten. »Setz den Kessel auf, Mog, er ist da!«, rief sie in die Küche, wo die beiden anderen vor dem Ofen saßen.
Belle hielt Jimmy die Wagentür auf. Es war lange her, seit sie ihn in etwas anderem als seiner Uniform oder der blauen Krankenhauskleidung gesehen hatte, und in seiner alten Tweedjacke, einem weißen Hemd und der braunen
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