Der Zauber eines fruehen Morgens
ich das tun?«
Belle seufzte. Wie konnte jemand nur so dumm sein? »Weil Sie möglicherweise Hilfe brauchen werden. Was Ihnen bevorsteht, wird nicht ganz angenehm sein.«
Mirandas wasserblaue Augen weiteten sich vor Schreck. »Dann gibt es niemanden, zu dem ich gehen könnte! Alle wären außer sich! Was soll ich bloß tun? Sie machen mir Angst!«
Belle nahm Mirandas Hand und musterte sie eingehend. Sie war nicht wirklich hübsch, dafür waren ihre Lippen zu schmal und ihre Nase zu spitz, doch sie wirkte trotzdem anziehend, selbst mit den vom Weinen geröteten Augen. Belle dachte an all die Schwierigkeiten zurück, die sie selbst hatte bewältigen müssen. Sie war fast immer ohne Hilfe damit fertiggeworden und aus diesen Erfahrungen gestärkt hervorgegangen. Aber sie brachte es nicht übers Herz, das Leben dieses Mädchens zu zerstören, indem sie es nach Hause schickte. Sie hatte das Gefühl, dass Mirandas Mutter genau der Typ Frau war, der die Tochter verstoßen würde, wenn sie ihr Schande machte.
»Sie können hierbleiben«, sagte sie impulsiv.
»Hier?« Der Vorschlag schien Miranda zu überraschen. Hilflos sah sie sich im Laden um.
»Nicht hier im Verkaufsraum«, beeilte sich Belle zu erklären. »Im Hinterzimmer, meinte ich. Ich kann es Ihnen dort ganz behaglich machen. Es gibt fließend Wasser und gleich draußen im Hof eine Toilette. Und ich bleibe bei Ihnen und kümmere mich um Sie. Aber Sie müssen zu Hause anrufen und sich mit irgendeiner Ausrede entschuldigen.«
»Das würden Sie für mich tun?« Wieder füllten sich Mirandas Augen mit Tränen. »Sie kennen mich doch gar nicht! Außerdem sind Sie verheiratet. Wird Ihr Ehemann Sie nicht zu Hause erwarten?«
Belle wusste, dass Jimmy entsetzt wäre, wenn er wüsste, was sie vorhatte, aber sie hatte nicht die Absicht, es ihm zu erzählen, jedenfalls nicht, bevor die Sache ausgestanden war. Sie wollte mit Mog sprechen und sich von ihr beraten lassen.
»Ich will ganz offen sein. Gern biete ich es Ihnen nicht an«, gestand Belle. »Doch ich könnte es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, Sie jetzt nach Hause zu schicken, wo niemand für Sie da ist. Ihr Ruf wäre zerstört, wenn diese Sache herauskäme. Wie Sie wissen, kenne ich Ihre Mutter. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie besonders freundlich reagieren würde.«
»Warum tun Sie das für mich?«
»Sagen wir einfach, dass ich auch schlechte Zeiten erlebt habe. So, wo könnten Sie heute angeblich über Nacht sein?«
»Nun, ich habe meiner Mutter am Morgen erzählt, dass ich eine Freundin besuchen will, die in Belgravia wohnt. Ich übernachte manchmal bei ihr.«
»Da ist das Telefon.« Belle zeigte auf den Apparat.
Belle ging ins Hinterzimmer, während Miranda sich vom Amt verbinden ließ. Hoffentlich konnte Mrs. Forbes-Alton nicht feststellen, dass der Anruf nicht aus Belgravia, sondern aus Blackheath kam!
Das Hinterzimmer war genauso breit wie das Geschäft, aber nicht so lang, und eine Tür am hinteren Ende führte in einen kleinen Hof, in dem sich die Toilette befand. Auf der linken Seite des Zimmers standen Regale mit Schachteln voller Verzierungen, Stoffe und Filzrollen, davor Belles Arbeitstisch mit dem Dampfkessel und verschiedenen Hutformen. Rechts von der Tür befanden sich Spüle, Gaskocher und ein kleiner Ofen, den sie an kalten Tagen in Betrieb nahm. Wenn sie den Tisch, der dort stand, zur Werkbank trug, blieb auf dem Boden Platz genug für eine Art Bettstatt.
Zum Glück hatte sie ein paar alte Kissen hergebracht, die noch aus Seven Dials stammten, um sie neu zu beziehen, und eine alte Staubdecke vom Streichen des Ladens war auch noch da.
Sie konnte Miranda ins Telefon sprechen hören. Es klang, als wäre ihre Mutter nicht zu Hause. Miranda schien einem der Dienstboten eine Nachricht aufzutragen. Weil es schrecklich heiß war, öffnete Belle die Hintertür und zog den Perlenvorhang zu, der die Fliegen fernhielt, bevor sie die Kissen auf den Boden legte und darüber die Staubdecke ausbreitete.
»Mama und Papa sind ausgegangen und kommen erst spät am Abend zurück«, rief Miranda ihr zu. Als Belle sich umdrehte, sah sie, dass das Mädchen in der Tür stand und ängstlich das improvisierte Lager auf dem Fußboden betrachtete. »Zum Glück, denn Mama hätte mich wahrscheinlich endlos mit Fragen gelöchert.«
»Sehr gut. Jetzt muss ich Sie leider kurz allein lassen und nach Hause laufen«, sagte Belle. Sie sah Miranda an, dass sie nun Angst hatte, da sie wusste, dass alles
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