Der Zauber eines fruehen Morgens
Männer nötig, um einen Verwundeten auf der Trage hundert Meter weit zu schleppen, so zäh war der Schlamm. Es gab verwundete Soldaten, die tagelang bis zum Hals im Wasser und mitten unter den Toten lagen, bevor sie gerettet wurden. Und währenddessen saßen die Generäle sicher hinter den Linien, tranken ihren Tee aus feinem Porzellan und planten, noch mehr Männer in den Tod zu schicken.«
Belle vergrub entsetzt ihr Gesicht in den Händen.
»Ich habe einen Artikel geschrieben, in dem die volle Wahrheit steht, doch die Zeitung wollte ihn nicht drucken.« Noah verzog angewidert den Mund. »Aber wenn der Krieg vorbei ist, werde ich diese Wahrheit in einem Buch veröffentlichen. Es wird Zeugnis für all das Grauen, die Barbarei und die Sinnlosigkeit dieses Kriegs ablegen. Und vielleicht wird es den Witwen, Müttern, Vätern, Brüdern und Schwestern der Soldaten, die das Gleiche wie Jimmy durchgemacht haben, verstehen helfen, wie tapfer diese Männer waren.«
Ein wenig später entschuldigte sich Mog damit, dass sie oben noch etwas zu erledigen habe. Offenbar wollte sie Belle auf taktvolle Weise ermöglichen, sich allein mit Noah zu unterhalten.
»Wie geht es dir wirklich?«, fragte er, sowie Mog außer Hörweite war. »Lisette hat mir erzählt, dass du ihr anvertraut hast, wie schwierig Jimmy nach seiner Heimkehr war.«
»Ich weiß selbst nicht, wie es mir geht. Natürlich bin ich furchtbar traurig. Es erscheint mir einfach nicht richtig, dass Jimmy all das Elend durchmachen musste und verwundet wurde und diese schreckliche Grippe bekommen musste, als er gerade anfing, sich mit seiner Situation abzufinden. Aber ich will ehrlich sein, Noah, er war sehr schwierig, vor allem in der ersten Zeit zu Hause. So viele Launen und Stimmungsschwankungen, und er hat sehr hässliche Dinge zu mir gesagt und wollte mich nicht in seine Nähelassen. Die Zukunft sah ausgesprochen düster aus. Deshalb bin ich manchmal fast erleichtert, dass es vorbei ist. Aber allein der Gedanke bereitet mir ein schlechtes Gewissen.«
»Ich kann mir vorstellen, wie durcheinander du bist«, sagte Noah begütigend. »An dem Tag, als du Jimmy geheiratet hast, war ich wirklich überzeugt, dass du in Zukunft ein glückliches Leben führen würdest. Du hattest mehr als genug gelitten, und mit Jimmy, Mog und Garth an deiner Seite dachte ich, ich müsste mir nie wieder Sorgen um dich machen. Aber dieser verdammte Krieg! Niemand ist davon unberührt geblieben. Ich glaube, es gibt nicht viele Männer, die das Gleiche erlebt haben wie Jimmy und sich durch alles, was sie mit ansehen mussten, nicht verändert haben. Und dann einen Arm und ein Bein zu verlieren und als Krüppel heimzukehren! Ich habe da draußen entsetzliche Angst gehabt, Belle. Und ich hatte nichts anderes zu tun, als in einem Unterstand Schutz zu suchen und das Geschehen zu beobachten. Der Gestank, der Dreck, der Lärm – es war wie eine Szene aus der Hölle, und dazu panische Angst, weil du nie wissen konntest, ob und wann es dich erwischen würde.«
Er machte eine Pause und sah sie an. »Doch du hast alles Menschenmögliche für ihn getan. Du hast ihn geliebt und für ihn gesorgt. Jetzt ist es an der Zeit, dass du an dich selbst denkst.«
Sie brachte kein Wort heraus, so gerührt war sie über seine Anteilnahme.
»Du bist dünn und blass, Belle. Du musst dir selbst etwas Gutes tun«, fuhr er fort. »Ich habe euch vorgeschlagen, uns zu besuchen. Aber wenn ich euch beide so anschaue, halte ich es für besser, wenn ihr an die See fahrt, um euch zu erholen und neue Energie zu tanken. Und um über eure Zukunft nachzudenken.«
Belle fing wieder an zu weinen, und Noah rückte mit seinem Stuhl näher zu ihr und nahm sie in die Arme.
»Du hast mehr durchgemacht als irgendein Mensch, den ich kenne«, bemerkte er teilnahmsvoll. »Etienne hat einmal gesagt, dass du von Kindheit an von anderen manipuliert worden bist. Under hatte recht. Aber jetzt wird es Zeit, auszubrechen und selbst zu entscheiden, was du willst. Du bist immer noch eine junge Frau, die ihr ganzes Leben vor sich hat.«
Dass er Etienne erwähnte, ließ ihre Tränen noch stärker fließen. Ihn hatte sie gewollt, doch auch das war ihr nicht vergönnt gewesen.
»Erinnerst du dich, dass ich dir geschrieben habe, dass ein französischer Soldat Jimmy gerettet hat? Also, das war Etienne«, platzte sie heraus.
»Etienne!«, rief Noah. »Wie ist das möglich? Das verstehe ich nicht.«
»Vor einer Weile bekam Jimmy einen Brief von einem
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