Der Zauber eines fruehen Morgens
biss sich auf die Lippen, um nicht laut zu schreien.
Als sie zu würgen anfing, langte Belle hastig nach einer Schüssel und hielt sie ihr hin. Mit der freien Hand schlug sie das Leintuch zurück. Auf dem Laken war ein Schwall frisches Blut zu sehen, und als Miranda sich erneut übergeben musste, rutschte etwas auf den Stoffstreifen, dass, wie kleine Stückchen Leber aussah. Belle,die wusste, was das bedeutete, hätte sich beinahe selbst übergeben.
»War es das?«, keuchte Miranda.
Belle raffte die blutigen Tücher zusammen und schob frische unter Miranda. Sie wollte nicht näher hinsehen, hatte jedoch das Gefühl, sich dazu zwingen zu müssen, bevor sie alles in den Müllkübel warf. Da war etwas Kleines, Blasses, das an eine Kaulquappe erinnerte, und das Wissen, dass es Mirandas Baby war, brachte sie zum Weinen. Noch deprimierender war der Gedanke, dass sie selbst ein Baby erwartete, das erwünscht war und nur Liebe erfahren würde, während dieser arme, kleine Wurm nicht hatte leben dürfen.
»Ja, das war es«, brachte Belle heraus. »Sind die Wehen jetzt vorbei?«
»Ja, nun tut es nur noch weh«, murmelte Miranda gepresst. »Was hätte ich ohne Sie bloß gemacht?«
Belle hoffte, etwas so Grauenhaftes nie wieder sehen zu müssen, und wenn sie hundert Jahre alt werden würde. Insgeheim verfluchte sie Frank und wünschte, er könnte sehen, was er mit seiner Habgier und Gemeinheit angerichtet hatte, und würde deshalb zur Rechenschaft gezogen werden.
Sie wusch Miranda gründlich ab und deckte sie zu. »Wenn Sie das nächste Mal einen jungen Mann kennenlernen, bringen Sie ihn zu mir, damit ich ihn genau unter die Lupe nehmen kann«, sagte sie leise und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Und jetzt mache ich Ihnen heiße Milch mit einem Schuss Brandy. Danach können Sie schlafen.«
KAPITEL 4
Kurz nach sechs Uhr morgens schlüpfte Mog durch die Hintertür in den Hof. Es war ein herrlicher Morgen, der einen weiteren heißen Tag ankündigte. Die Vögel zwitscherten, und normalerweise hätte sie daran gedacht, wie glücklich sie sich schätzen konnte, aus Seven Dials herausgekommen und einen liebevollen, tüchtigen Mann gefunden zu haben.
Aber vor lauter Sorge um Belle hatte sie in der Nacht kaum ein Auge zugetan.
Obwohl sie in der Zeit, als sie in Annies Bordell gearbeitet hatte, sechs oder sieben Mädchen in der gleichen Notlage beigestanden hatte, in der sich Miranda befand, war es ihr nie leichtgefallen. Es war eine schlimme, eine schändliche Sache, und noch schlimmer für Belle, weil sie selbst schwanger war.
Mog wünschte von ganzem Herzen, es gebe eine Alternative für unverheiratete Frauen, die in diese Lage gerieten. Aber wenn sie sich nicht auf eine Abtreibung einließen und weder bei ihrer Familie noch bei dem Vater des Kindes Unterstützung fanden, landeten sie in den meisten Fällen auf der Straße und konnten höchstens auf Aufnahme in ein Armenhaus hoffen. Wenn ihr Baby nicht wegen nachlässiger Betreuung schon bei der Geburt starb, kam es ins Waisenhaus oder zu einem Bauern, der es als einträgliches Geschäft betrachtete, ein Kind großzuziehen, und keine Zeit an Zuwendung verschwendete.
Doch heute war Mogs Hauptsorge, dass Belle in ernsthafte Schwierigkeiten kommen würde, falls letzte Nacht etwas schiefgegangen war. Vielleicht urteilten die Gerichte nachsichtig, wenn eine Frau einer Prostituierten in einer derartigen Notlage beistand,aber es sah mit Sicherheit anders aus, wenn es um eine junge Dame aus gutem Hause ging.
Es kam vor, dass Frauen an diesen barbarischen Abtreibungen starben, wenn nicht direkt, dann später an den Folgen einer Infektion. Belle hatte sich zwar nicht des Vergehens schuldig gemacht, die Abtreibung zu unterstützen und gutzuheißen, doch wenn das Mädchen starb, würde ihre Familie irgendjemandem die Schuld geben, und Belle wäre der ideale Sündenbock.
Alles war ruhig, und die Hintertür stand einen Spalt offen, um frische Luft hereinzulassen. Mog stieß sie ein Stück weiter auf und spähte hinein. Belle lag in ihrem Hemd auf dem Fußboden und schlief tief und fest. Ihr Haar war zerzaust, und sie hatte einen Arm unter den Kopf geschoben. Die blonde junge Frau in dem behelfsmäßigen Bett schlief ebenfalls. Sie trug ein altes, spitzenbesetztes Baumwollnachthemd, das Mog für Belle genäht hatte. Ihre Gesichtsfarbe war gut, weder zu blass noch fiebrig oder gerötet.
Mog fiel ein Stein vom Herzen. Nirgendwo war Blut oder irgendetwas anderes zu sehen, das darauf
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