Der Zauber eines fruehen Morgens
Bissen übersät, die sich häufig entzündeten. Der schwere Schlamm, durch den die Soldaten waten mussten, war oft mit Exkrementen aus den Latrinen und sogar mit Leichenteilen von Gefallenen durchsetzt. Ratten, angeblich so groß wie Katzen, überrannten die Gräben, und selbst eine relativ geringfügige Verletzung konnte zu Wundbrand und in weiterer Folge zu Amputation führen.
Am Ostermontag, dem neunten April, als die Schlacht bei Arras begann, machten Schneefall und eisige Graupelschauer den Soldaten zusätzlich zu schaffen. Die Verwundeten, die täglich eintrafen, sprachen von Panzern, die im dicken Schlamm versanken, von Maultieren, die strauchelten und ertranken, und von anderen Verwundeten, die sich nicht aus der zähen Masse befreien konnten und ebenfalls darin starben.
Jimmy hatte Quartier in einer Scheune genommen und schrieb mehr über das Essen und Trinken in einem Estaminet als über die Bedingungen in dem tief liegenden Marschland. Aber es war eindeutig nur eine Frage der Zeit, bis sein Regiment den Marschbefehl erhalten würde. Belle, die Tag für Tag an ihren Patienten sah, was ihrem Mann alles zustoßen konnte, fiel es zusehends schwerer, heitere, aufmunternde Briefe an ihn zu schreiben.
Vera war sehr aufgeregt wegen der bevorstehenden Ankunft ihrer beiden Brüder, die in das ANZAC, das Australian and New Zealand Army Corps, eingetreten waren und unterwegs von Neuseeland hierher waren. Die beiden hießen Tony und »Spud«, also »Knolle«, und sie lachte bloß, als Belle etwas über den Grund für diesen Spitznamen wissen wollte. Doch zu der Freude, ihre Brüdervielleicht zu sehen, sei es auch nur kurz, gesellte sich die Furcht, man würde die beiden direkt an die Front schicken, wie es schon zuvor kanadischen und australischen Soldaten passiert war.
Sally, Maud und Honor hatten hier draußen alle Brüder oder Cousins, und Belle war aufgefallen, dass sie zwar kaum darüber redeten, aber jeden Tag verstohlen die Gefallenenlisten überprüften. Unter ihnen schien die stillschweigende Übereinkunft zu bestehen, sich die Sorge um Angehörige an der Front nicht anmerken zu lassen. Henry, einer der Fahrer, erfuhr kurz nach Belles und Mirandas Ankunft, dass sein Neffe als vermisst, vermutlich tot gemeldet worden war, und Belle hatte zufällig gesehen, wie Henry mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern hinter der Baracke gestanden hatte. Doch als die Glocke schrillte, sprang er in seinen Wagen und versah wie jeden Tag seinen Dienst. Sally meinte in ihrer üblichen praktischen Art, dass Arbeit die beste Ablenkung sei.
Aber obwohl sämtliche Krankenschwestern, Fahrer, Sanitäter, Ärzte und das übrige Personal es schafften, kaum jemals die Fassung zu verlieren, schaute es bei den Angehörigen, die aus England kamen, um ihre Söhne oder Ehemänner zu sehen, anders aus. Tag für Tag sahen die Mädchen diese Leute im Lazarett eintreffen. Sie fielen nicht nur durch ihre Zivilkleidung auf, sondern auch durch ihre angespannten und fassungslosen Mienen. Die meisten von ihnen hatten England noch nie verlassen, sie sprachen kein Französisch, und sie wussten, dass ihre Söhne oder Ehemänner sterben würden. Oft kamen sie zu spät und fanden ihren Angehörigen nur noch tot vor. Das Pflegepersonal zeigte immer Mitgefühl und bemühte sich, Trost zu spenden, aber es schien besonders tragisch, dass diese armen Menschen einen so weiten Weg auf sich genommen und trotzdem keine Gelegenheit mehr gehabt hatten, Abschied zu nehmen. Fast jeden Tag gab es Beerdigungen; Belle lief es jedes Mal kalt über den Rücken, wenn auf dem Horn der letzte Zapfenstreich geblasen wurde.
David war eher philosophisch, was trauernde Angehörige betraf. Er meinte, dass sie im Gegensatz zu den Verwandten Tausender anderer Männer, die in einem Massengrab in der Nähe des Schlachtfelds begraben worden waren, wenigstens wussten, wo ihre Nächsten beerdigt waren, und die Worte eines Geistlichen gehört hatten. Und manche Tote wurden nie gefunden; sie waren in Stücke gerissen worden und lagen in Fetzen im Schlamm. Für die Familien jener Männer musste es eine wahre Folter sein, gegen jede Hoffnung zu hoffen, dass sie gefangen genommen worden waren oder in irgendeinem Lazarett lagen und eines Tages nach Hause kommen würden.
Ende Mai, als die beiden Mädchen seit über einem Monat in Frankreich waren, teilte man ihnen mit, dass sie am nächsten Tag keinen Dienst hätten. Bis dahin hatten sie gelegentlich ein paar Stunden freigehabt,
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