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Der Zauber eines fruehen Morgens

Der Zauber eines fruehen Morgens

Titel: Der Zauber eines fruehen Morgens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Pearse
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Bahnhof hin- und hergefahren, dass sie mit dem Zählen nicht nachgekommen waren. Jeder einzelne Muskel in ihrem Körper war aufs Äußerste strapaziert worden, und die furchtbaren Verletzungen, üblen Gerüche und Schmerzensschreie hatten sie an die Grenzen ihrer Belastbarkeit geführt.
    »So hatte ich mir das nicht vorgestellt«, gestand Miranda mit schwacher Stimme.
    »Ich auch nicht«, stimmte Belle ihr zu. »Ich weiß nicht mal, ob ich noch die Arme heben kann, um mich auszuziehen und mein Haar zu bürsten.«
    »Schluss mit dem Gejammer«, rief Vera vom anderen Ende des Raumes. Sie hatte sich bis auf ihren spitzenbesetzten Unterrock ausgezogen und ein Bad genommen und schlüpfte jetzt in ein hellblaues Kleid, als wollte sie zu einer Party gehen. »Geht baden, ihr zwei, das wird euch beleben.«
    Belle rappelte sich hoch. »War heute besonders viel los?«, fragte sie hoffnungsvoll.
    »Eher durchschnittlich für eine Phase mit Kampfhandlungen«, antwortete Vera. »Bis Ostern war es relativ ruhig, aber dann fing die Schlacht bei Arras an, und kurz darauf wurden an die zweitausend Verwundete eingeliefert, Briten, Franzosen, Australier und Kanadier. Es heißt, dass es bald noch viel schlimmer werden soll.«
    »Ich glaube nicht, dass ich einen Tag wie heute noch einmal durchstehe«, gestand Miranda und sprach damit Belle aus dem Herzen.
    »Doch, das wirst du«, sagte Vera bestimmt. »Ich habe an meinem ersten Tag das Gleiche gedacht, doch man gewöhnt sich daran. Nehmt ein Bad, holt euch was zu essen und geht dann zu Bett! Ihr werdet schlafen wie Babys, und wenn ihr morgen aufwacht, ist es gar nicht mehr so schlimm. Gebt mir eure Röcke, damit ich sie kürzen kann.«
    »Das würdest du für uns tun?«, fragte Belle. Ihr Rock hatte sie den ganzen Tag behindert, aber sie hatte nicht die Kraft, ihn heute Abend noch selbst zu säumen.
    »Na klar. Wir sitzen alle in einem Boot«, meinte Vera. »Nur wenn wir einander helfen, halten wir durch.«
    »Aber wolltest du nicht irgendwohin?«, erkundigte sich Miranda. Vera hatte die Nadeln aus ihrem Haar genommen und bürstete es energisch.
    »Nur zum Abendessen, doch wir ziehen uns immer um, wenn wir von der Arbeit zurückkommen. Wie Sally sagen würde: ›Wir Mädels dürfen uns nicht gehen lassen.‹«
    In den folgenden Tagen machte Belle die Feststellung, dass Veras Philosophie, einander zu helfen, die Arbeit erleichterte und Kameradschaft schuf. Es war kein großer Aufwand, einer anderen Fahrerin beim Beladen des Wagens zu helfen, und derartige Gefälligkeiten wurden unweigerlich erwidert, vor allem, wenn ein Patient besonders viel wog. Seit ihrer Ankunft regnete es fast ununterbrochen, und eines Tages blieb Mirandas Laster im Schlamm stecken. Sofort eilten Männer herbei und legten Säcke unter die Reifen. Als David an einem anderen Tag mit der Trage stolperte, war augenblicklich eine helfende Hand zur Stelle, um ihn zu stützen.
    In den Zeiten, in denen nur wenige Züge eintrafen, lernten Miranda und Belle die anderen Fahrer und Träger kennen. Sie entstammten allen möglichen Gesellschaftsschichten. Einige waren wie David Kriegsinvaliden, die bleiben wollten, um anderen zu helfen, andere waren wegen geringfügiger gesundheitlicher Probleme für untauglich erklärt worden. Aber die meisten waren aus ähnlichen Gründen wie Miranda und sie hier: Sie wollten ihren Teil beitragen. Welchen Hintergrund sie auch hatten, alle fügten sich in die Gemeinschaft ein, und es wurde viel gelacht und gescherzt, und obwohl die Arbeit extrem hart war, gab es Belle und Miranda ein Gefühl von Freiheit, in einer von Männern dominierten Welt akzeptiert zu werden.
    Einer der älteren Fahrer, von dem sie beide angenommen hatten, dass er weibliche Rettungsfahrer in Grund und Boden verdammte, brüllte eines Tages vor Lachen, als er zufällig mit anhörte, wie Belle und Miranda zwei Krankenschwestern nachmachten, die wahre Schreckschrauben waren. Als einen Tag darauf bei Belles Wagen der Keilriemen riss, kam er ihr zu Hilfe und zeigte ihr, wie man einen neuen anlegte. Als sie sich bedankte, wehrte er mit den Worten ab, dass es nicht der Rede wert sei und sie und Miranda tolle Mädchen seien und er froh sei, sie bei der Truppe zu haben. Belle freute sich unheimlich über sein Lob, und in diesem Moment hatte sie das Gefühl, dass Miranda und sie die richtige Entscheidung getroffen hatten, als sie hierhergekommen waren, egal, wieschwer die Arbeit und wie primitiv die Lebensbedingungen waren.
    Selbst

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