Der Zauber eines fruehen Morgens
nächsten Tag rausfliegen würden, wenn sie den Eindruck erweckten, dass sie die Männer ermutigten.
Es war ein herrliches Gefühl, draußen in der Sonne zu sein, fern von den Bildern, Geräuschen und Gerüchen des Lazaretts, und Geschäfte und Cafés und ganz normale Menschen zu sehen. In einer schmalen Seitengasse entdeckten sie einen verstaubten kleinen Hutsalon, wo sich jede einen Strohhut kaufte und ihn sofort aufsetzte. Anschließend erstanden sie neue Strümpfe, tranken ineinem Café heiße Schokolade und unternahmen schließlich einen Spaziergang am Strand entlang.
Auf dem Ärmelkanal herrschte reger Schiffsverkehr, eine Erinnerung, dass der Krieg nicht nur zu Lande geführt wurde. Die Deutschen hielten ein Stück weiter die Küste hinauf Seebrügge und Ostende, und ihre U-Boote beschossen ständig britische Schiffe.
Miranda blickte zu einem Flugzeug hinauf, das über ihren Köpfen flog. »Komisch, wie selbstverständlich das jetzt für uns ist!«, meinte sie nachdenklich. »Papa hat mir vor ein paar Jahren mal ein Bild von einem Flugzeug gezeigt, er war ganz aufgeregt. Aber ich habe gedacht, es wäre nur eine Spielerei, die bald wieder in Vergessenheit geraten würde. Und heute ist es mir immer noch ein Rätsel, wie sie sich in der Luft halten.«
»Ich begreife auch nicht, wie die Dinger fliegen können«, gab Belle zu. »Und Automobile! Ich war ungefähr dreizehn, als ich zum ersten Mal eines sah und neben ihm herrannte. Damals hieß es, dass sie sich nie durchsetzen würden. Aber jetzt gibt es schon viele, und sogar wir können sie fahren. Stell dir bloß vor, wenn wir mal Kinder haben und ihnen so etwas erzählen! Sie werden sich ein Leben vor der Erfindung all dieser Sachen gar nicht mehr vorstellen können.«
»Ich kann mir nicht mal vorstellen, wie das Leben nach dem Krieg sein wird«, gestand Miranda. »Ich meine, wie soll ich jemals wieder so leben wie früher?«
Belle war überrascht, wie trübselig ihre Freundin klang. »Es wird nicht wie früher sein«, versicherte sie ihr. »Wie wäre das möglich, wenn sich durch den Krieg alles verändert hat?«
»Tausende Männer sind schon gefallen, und noch viel mehr werden den Rest ihres Lebens Krüppel bleiben«, sagte Miranda. »Die Chancen, dass ich mich verliebe und heirate, stehen also noch schlechter als vor dem Krieg. Du hast deinen Jimmy, aber ich werde wohl als alte Jungfer bei meinen Eltern leben.«
»Was ist denn das für eine pessimistische Einstellung«, entgegnete Belle ärgerlich. »Du wirst einen Mann kennenlernen und dichverlieben, da bin ich ganz sicher. Außerdem hast du selbst gesagt, dass du nie wieder nach Hause zurückgehst, dass für dich ein neues Leben anfängt. Du kommst hier so gut zurecht, dass du nach dem Krieg bestimmt irgendeine Arbeit findest, die dir Spaß macht.«
»Aber warum kann ich mir das einfach nicht vorstellen?«, fragte Miranda, während sie einen Kieselstein aufhob und ihn über das Wasser hüpfen ließ. »Ich wette, du kannst es.«
»Na ja, schon«, gab Belle zu. »Doch sich etwas vorzustellen heißt nur, an das zu denken, was du dir wünschst. Ich male mir gern aus, mit Jimmy irgendwo an der See zu leben und vielleicht eine Fremdenpension zu führen oder so. Ich bezweifle, dass es je dazu kommen wird, aber wenn man keinen Traum hat, an dessen Verwirklichung man arbeiten kann, ändert sich gar nichts.«
Sie schlenderten in die Stadt zurück und setzten sich in ein Café, um vor der Rückfahrt eine Kleinigkeit zu essen.
Das Lokal war klein und schäbig, mit schlichten Holztischen, die dringend einer Säuberung bedurft hätten, doch die besseren Cafés waren mit Soldaten überfüllt gewesen. Zwei ältere Männer verzehrten gerade eine Speise, bei der es sich um einen Schmortopf zu handeln schien, und weil es köstlich duftete, bestellten Belle und Miranda bei der Kellnerin dasselbe für sich und dazu etwas Wein.
Sie aßen gerade, als zwei amerikanische Soldaten eintraten. Sie waren jung, vielleicht dreiundzwanzig oder vierundzwanzig, groß und sonnengebräunt, und ihre hellbraunen Uniformen sahen, verglichen mit denen ihrer englischen Verbündeten, richtig schick aus.
Miranda strahlte sie an, und Belle warf ihr einen warnenden Blick zu.
Beide Männer nahmen ihre Kappen ab und blieben am Tisch der Mädchen stehen, nicht nur, um die beiden, sondern auch ihr Essen zu betrachten. »Das sieht sehr gut aus, Ma’am«, sagte der dunkelhaarige, der die Rangabzeichen eines Sergeants trug. »Würden Sie es
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