Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zauber eines fruehen Morgens

Der Zauber eines fruehen Morgens

Titel: Der Zauber eines fruehen Morgens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Pearse
Vom Netzwerk:
heimkehrten, in ein noch elenderes Dasein als vorher.
    Aber Belle kannte auch Männer, die fanden, dass sich ihre Stellung im Leben durch die Armee verbessert hatte. Regelmäßige Mahlzeiten und körperlicher Drill während ihrer Ausbildung hatten aus schlaksigen Burschen Männer gemacht. Die engen Freundschaften, die sie mit Kameraden aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten schlossen, und das Vorbild, das ihre Offiziere gaben, hatten häufig ihren Horizont erweitert und ihnen neue Kenntnisse vermittelt. Belle war überzeugt, dass auch David in diese Kategorie fiel.
    »Vielleicht bekommen Sie Arbeit in einem Krankenhaus, wenn der Krieg vorbei ist«, meinte sie.
    Er lächelte scheu. »Ich habe Lehrbücher über Physiotherapie gelesen. So etwas würde ich gern machen. Ich schätze, auf dem Gebiet wird man nicht abgelehnt, wenn man lahm ist.«
    Als sie in der Reihe der wartenden Krankenwagen weit genug aufgerückt waren, um den Bahnsteig zu sehen, waren die sitzenden Patienten schon unterwegs ins Lazarett und nur noch liegendePatienten übrig. Obwohl es auf dem Bahnhof von Krankenschwestern, Trägern und anderem Militärpersonal wimmelte, lief zu Belles Überraschung alles ruhig und reibungslos ab. An jeder Waggontür stand eine Krankenschwester mit gestärktem weißen Kittel und Häubchen, in der Hand die Notizen über die Männer, die in ihre Obhut kamen, und wies die Träger an, in welcher Reihenfolge die Krankentragen transportiert werden sollten. Jeder Patient hatte einen Beutel mit seiner persönlichen Habe bei sich, aber nur wenige trugen die blaue Krankenhauskleidung, die Belle vom Royal Herbert kannte. Die meisten hatten ihre Unterwäsche an, die zum Teil blutig und zerrissen war. Sie sah bandagierte Armstumpen, Kopfverbände, wunde, verbrannte Gesichter, und in einigen Fällen waren unter den Decken keine Beine zu erkennen. Sie hörte Stöhnen und gelegentlich Schmerzensschreie, doch im Allgemeinen waren die Verwundeten ruhig, einige sogar so still, dass sie leblos wirkten.
    »Los, jetzt sind wir dran!«, sagte David, als der Krankenwagen vor ihnen abfuhr. »Lassen Sie sich möglichst nicht anmerken, dass Sie so was noch nie gemacht haben, wenn wir die Patienten aufladen, und bekommen Sie keinen Schreck wegen der Wunden!«
    Belle war es zwar gewöhnt, furchtbare Verletzungen zu sehen und dabei zu helfen, Patienten ins Bett zu heben, doch sie hatte noch nie eine Trage hochgehoben; das hatten im Royal Herbert Military Hospital immer die Sanitäter übernommen. Als David und sie die erste Trage packten, auf der ein Mann mit einer Bauchwunde lag, taumelte Belle kurz, weil die Last so schwer war, und die gequälten Augen des Mannes schienen sie anzuflehen, ihm nicht noch mehr Schmerzen zuzufügen. »Bald wird es besser«, tröstete sie ihn. »Wenn Sie erst einmal im Lazarett sind, werden Sie nicht mehr so durchgeschüttelt.«
    Als sie ihn hochhoben und in den Wagen schoben, fühlten sich ihre Arme an, als würden sie aus den Gelenken gezogen, aber sie redete dem Verwundeten noch einmal gut zu und wischte ihm mit einem feuchten Tuch die Stirn ab.
    »Sie machen das sehr gut«, raunte David ihr halblaut zu, als sie den Nächsten holen gingen. »Sie sind wie geschaffen dafür – ein Lächeln und ein tröstendes Wort helfen fast genauso viel wie Morphium.«
    Sowie ihr Wagen vollgeladen war und an jeder Trage Zettel hingen, startete Belle den Motor und versuchte, die tiefen Schlaglöcher auf der Straße tunlichst zu umfahren. Sie war schweißgebadet; ihre Arme fühlten sich an, als hätte man sie auf ein mittelalterliches Streckbett gespannt, und sie wusste, dass ihr beim Lazarett die gleiche Plackerei noch einmal bevorstand. Es war erst kurz nach neun Uhr morgens, und es würde bis sechs Uhr abends ununterbrochen so weitergehen. Sie fragte sich, ob sie durchhalten würde.
    Wenn David nicht gewesen wäre, hätte sie vielleicht gegen Mittag das Handtuch geworfen. Aber er versicherte ihr, dass der erste Tag am schlimmsten sei, und sprach ihr Mut zu. »Man hat das Gefühl, keine einzige Trage mehr heben zu können, nicht wahr?«, sagte er, als er ihr einen Becher Tee und zwei Aspirin gab. »Aber die Muskeln werden bald kräftiger, und Sie gönnen Captain Taylor doch sicher nicht die Genugtuung, zu sehen, dass ein Mädchen den Job nicht schafft.«
    Als Miranda und Belle um sechs Uhr abends in ihre Hütte zurückkehrten, ließen sie sich stöhnend auf ihre Betten fallen. Sie waren so oft zwischen Lazarett und

Weitere Kostenlose Bücher