Der Zauber von Avalon 01 - Sieben Sterne und die dunkle Prophezeiung
Baumgeister nicht auseinander und versteckten sich. Sie schwebten um den Mann und bewegten sich dabei so leicht wie Honig, der auseiner Schüssel gegossen wird. Plötzlich fassten sie einander an den langen Armen und umschlossen den Bärtigen in einem Kreis. Da standen sie und wiegten sich gespannt unter den nächtlichen Sternen, als würden sie darauf warten, dass der Mann etwas vortrug.
Natürlich! Ein Barde.
Wirklich, der Mann zog eine kleine Laute aus seinem Umhang und zupfte einen einzigen volltönenden Akkord. Dann verneigte er sich tief mit ernster, respektvoller Miene vor den biegsamen Gestalten.
Als er sich vorbeugte, fiel ihm der Hut herunter. Tamwyn wollte kichern, dann hielt er den Atem an. Denn auf dem kahlen Kopf des Barden saß ein kleines, wie ein Tränentrop fen geformtes Geschöpf mit bläulicher, goldgefleckter Haut. Es trug nichts als ein langes, durchsichtiges Gewand, das im Sternenlicht schimmerte. Und obwohl die Züge seines schmalen Gesichts fein waren, wirkten sie auch sehr beweglich – und sehr ausdrucksvoll. Im Moment bog sich der große Mund des Wesens in einer Mischung aus Ungeduld und Langweile nach unten. Vielleicht aber auch aus Luftmangel nach dem langen Aufenthalt unter dem Hut.
Jetzt fing das Geschöpf an zu summen – ein ansteigendes, melodisches Summen, zugleich viel tiefer und höher als alle Töne, die Tamwyn je gehört hatte. Es vibrierte in seinen Ohren und noch mehr in seinen Knochen. Ihm wurde leicht schwindlig, als hätte er zu viel Met getrunken, ein Wirbel von Gefühlen umgab ihn, die so sonderbar waren, dass er sie nicht benennen konnte. Und er wusste ohne jeden Zweifel, was für eine Art Geschöpf das war.
Ein Museo
, dachte er, und Ehrfurcht überkam ihn. Er wusste natürlich von ihnen – wie alle in Avalon –, aber er hatte nie zuvor einen gesehen. Oder einen summen hören mit dieser erstaunlichen Stimme. Jetzt begriff er wirklich den alten Spruch:
Ein Ton, so selten wie aus der Kehle eines Museos.
Und außerdem waren, wie Tamwyn nur zu gut wusste, Museos selbst selten, sogar in ihrem Heimatland Schattenwurzel. Es gab unterschiedliche Meinungen darüber, ob es immer so wenige von ihnen gegeben hatte oder ob sie von den dunklen Elfen, Todesträumern und anderen wilden Geschöpfen in Schattenwurzel, die keine Verwendung für Lieder aller Art hatten, verfolgt worden waren. Manche Leute glaubten, dass die Museos vor Jahrhunderten ganz aus Schattenwurzel vertrieben worden waren, nachdem manche von ihnen in den blutigen Kämpfen der Sturmzeit sich auf die Seite der Menschen, Waldelfen und des Adlervolks geschlagen hatten.
Wie auch immer, man war sich einig, dass die wenigen Museos, die noch existierten, nicht mehr in Schattenwurzel lebten. Im Lauf der Jahrhunderte waren sie in den meisten anderen Ländern Avalons gesehen worden – selbst im fernen Waldwurzel. Meistens reisten sie mit einem Barden, aber nicht mit jedem. Nur der weiseste und beste Barde konnte hoffen die Treue eines Museo zu gewinnen.
Tamwyn rutschte im Misthaufen herum, plötzlich war er verwirrt. Könnte dieser komische alte Mann mit dem seitlich wachsenden Bart als Barde wirklich gut genug sein, um einen Museo bei sich zu haben?
Wie zur Antwort schlug der Barde einen neuen Akkordauf seiner Laute an. Er wiegte sich schwungvoll, obwohl sein Gesicht ernst blieb. Sternenlicht glänzte auf seinem abstehenden Bart. Und der Alte fing an zu singen, klarer als ein Wiesenstärling an einem Sommermorgen.
Das alte Lied sing ich euch jetzt
Von Träumen, die wir lieben,
Von Sehnsucht, Leid, Entmutigung –
Vom Geist, der uns geblieben.
Also das haben sie sich ausgewählt
, dachte Tamwyn. Es war »Die Ballade von Avalons Entstehung« – das älteste und beliebteste Lied seiner Welt. Sicher hatte er es schon oft gehört. Aber nie so.
Er beugte sich vor und öffnete sich dem alten, zugleich so neuen Lied.
7
Die Ballade von Avalons Entstehung
D ie Nachtluft blieb kalt, doch Tamwyn war wärmer als zuvor. Diese neue Wärme kam von der Musik – von der Stimme eines Barden, dem Summen eines Museo und den Klängen einer Laute. Und von etwas . . . noch Magischerem.
Das alte Lied sing ich euch jetzt
Von Träumen, die wir lieben,
Von Sehnsucht, Leid, Entmutigung –
Vom Geist, der uns geblieben.
Die Sage weiß, dass Avalon
Aus einem Samen spross,
Der alles, was wir brauchen und
Erreichen, schon umschloss.
Doch in dem Samen finden sich
Auch Ängste, Gier und Wut
Und mischen
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