Der Zauber von Avalon 01 - Sieben Sterne und die dunkle Prophezeiung
Hanwan Belamir, sei in Wirklichkeit Merlins Erbe.
Tamwyn senkte den Blick. Genau das waren die Fragen, über die Scree immer gern debattiert hatte. Die ganze Nacht hindurch, bis die Sterne am nächsten Morgen wieder heller wurden. Er liebte Auseinandersetzungen und schwenkte dabei die Arme – oder seinen kostbaren Wanderstab –, um seinen Standpunkt klar zu machen.
Mir fehlt dieser sture alte Holzkopf. Selbst wenn er so uneinsichtig war wie, nun ja, wie . . .
Tamwyn schluckte mühsam.
Wie ein Bruder.
Erneut schaute er hinauf zu den Sternen und blinzelte, um sie noch deutlicher zu sehen. Zuerst bemerkte er gar nicht, was mit dem Zauberstab geschah. Dann kam ihm etwas seltsam vor.
Er blinzelte wieder – und hielt den Atem an. Denn das Sternbild hatte sich tatsächlich verändert. Direkt vor seinen Augen. Wo gerade noch sieben Sterne gewesen waren, standen jetzt nur noch sechs. Ein Stern hatte sich verdunkelt!
Was das bedeutete, konnte er nur raten.
8
Aus dem Schatten
Ü berraschend schnell für einen so massigen Krieger trat Harlech einen Schritt zurück. Er wollte weg vom Fuß des Felsenturms, der am Rand von Wasserwurzels tiefstem Cañon, dem Cañon von Crystillia, aufragte. Weg von den Schatten, die dunkler waren als die finsterste Grube. Und weg von der Gestalt im Umhang, die dort umherschlich.
»Von Merlin?«, stotterte er. »Du willst etwas vom Zauberer Merlin stehlen?«
»Nein, du Dummkopf. Merlin ist nicht mehr unter uns, schon lange nicht mehr! Ich werde es der Person wegnehmen, die von der Prophezeiung als
Merlins wahrer Erbe
bezeichnet wird. Aber die Wirkung, mein Harlech, wird dieselbe sein. Hmmja.« Er stieß ein leises, heiseres Geläch ter aus. »Weißt du, er hat einen Stab bei sich – den Stab seines Herrn! Er sieht aus wie ein schlichter Wanderstab, mein Harlech, deshalb musste ich so viele Jahre lang suchen, bis ich ihn fand. Aber dieser Wanderstab hat große Kräfte, hmmja. Kräfte, die bald ich besitzen werde.«
Der Mann im Umhang stach mit der weißen Hand in die Luft und deutete auf den großen Steindamm, der den Cañonunter ihnen überspannte, auf den riesigen weißen See dahinter und auf die Gespanne versklavter Pferde, Hirsche, Maultiere, Zwerge, Wölfe und Ochsen. Sie schleppten weitere Steine aus den Tagebaugruben, brachten noch mehr frisch gefällte Bäume zum Gerüstbau, zogen schwere Lastkähne über den See und reparierten die enge Straße, die über den Damm führte – alles begleitet vom ständigen Peitschenknallen der Männer. In der Ferne dröhnte der weiße Geysir von Crystillia und warf seine Fluten hoch in die Luft wie immer, seit Avalon aus Merlins magischem Samen entstanden war.
Nur floss jetzt das weiße Wasser des Geysirs nicht hinunter nach Wasserwurzel und in die benachbarten Reiche – es wurde hier angehalten, war hinter dem Damm gefangen. Für die wenigen Forscher, die je diesen abgelegenen Ort erreicht hatten, wäre der Anblick von Damm, See und den trockenen Cañons hinter der Prismenschlucht erschreckend gewesen. Und der Anblick der Sklaven noch erschüt ternder .
»Ich werde diesen Stab gebrauchen, hmmja, mein Harlech. Für etwas ganz Besonderes. Ganz Besonderes, in der Tat. Und dann . . . werde ich ihn zerstören! Und zur gleichen Zeit werde ich für immer Merlins Einfluss auf diese Welt beenden.«
Harlech neigte den Kopf und kratzte die gezackte Narbe an seinem Kinn. »Das wird dem Zauberer nicht gefallen, Meister. So wenig, denke ich mir, wie seinem wahren Erben.«
»Meinst du, das wäre wichtig?« Der Hexenmeister stießein hohes, pfeifendes Gelächter aus, das klang wie das Zischen einer zufriedenen Schlange. »Der verlorene Stab wird bald das geringste ihrer Probleme sein. Denn ich werde ihn gebrauchen, mein Harlech, um etwas viel Größe res zu gewinnen: die Macht über Avalon.«
»Aber wie, Meister?« Harlech rückte näher an den Schatten. »Kannst du mir das sagen?«
Der Kapuzenmann rieb sich die weißen Hände. »So viel will ich sagen, alles, was dein schwacher Verstand begreifen kann: Mithilfe dieses Stabs werde ich etwas Mächtiges machen – so mächtig, dass ich in kurzer Zeit alle sieben Reiche beherrsche, die Wurzeln des großen Baums . . . Wurzeln, die den gesamten Baum stützen, ihm Kraft geben und das Élano erzeugen, das durch seine Adern fließt. Und wie die Wurzeln, mein Harlech, so der Baum. Das ganze Avalon bis zu den fernsten Zweigen wird dann in meiner Gewalt sein! Hmmja, so sicher wie Rhita Gawr, der Herr der
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