Der Zauber von Avalon 01 - Sieben Sterne und die dunkle Prophezeiung
wogend, brandend, endlos strömend – das Geräusch, in dem sich Licht und Erde und Luft vereinten. Der Klang von Leben, wie es sprießt und wächst und schließlich stirbt, nur um sich zu erneuern und wieder zu sprießen. Äste greifen zum Himmel – strecken sich, beugen sich oder brechen –, doch das Atmen währtfort, das Atmen geht weiter. Wieder und wieder, wieder und wieder. Bei jedem Geschöpf, zu jeder Zeit.
Ganz plötzlich verstärkte sich der Harzgeruch. Brionna spürte mit einem Mal, wie sie zu sich selbst kam, einem Selbst, das sie vor langer Zeit vergessen hatte. Und noch stärker empfand sie einen Stich, einen Schmerz, der tiefer ging als in Körper oder Geist – einen Schmerz über den Verlust dessen, was sie gewesen war, über den Kummer um das, was sie zurückließ.
Ein grünes Licht wurde stärker. Direkt vor ihr schwoll es an und schimmerte, wobei es laut knisterte. So laut, dass Brionna nur mit Anstrengung sich und Avalon atmen hörte.
Flammen! Sie stürzte kopfüber durch die Pforte, neben ihr war Shim. Ein paar Sekunden lang lag sie da, mit dem Gesicht in der schwarzen Erde, die von zahllosen Bränden verkohlt war, und wusste nicht, wo – und wer – sie war.
Plötzlich erinnerte sie sich. Sie hob den Kopf und sah eine Landschaft mit lodernden Flammen und aufsteigendem Rauch, feuerversengten Bergrücken und Wolken vulkanischer Asche. Feuerwurzel. Kein einziger Baum, noch nicht einmal ein Grashalm wuchs auf diesen Klippen. Widerlicher Schwefelgeruch umwehte Brionna.
Dann fing sie nicht nur mit der Nase den schwachen Hauch von etwas anderem auf – harzhaltig, würzig und lebendig. Brionna barg das Gesicht in den Händen und weinte.
20
Etwas Wunderbares
W ährend Scree durch die Höhle ging, wogte oranges Licht aus dem Feuerschlot über die Felswand. Und zugleich über ihn. Weil er wie alle Adlermänner in ihrer menschlichen Gestalt kein Hemd trug, berührte das Licht seine nackten Schultern, die muskulösen Arme und den Rücken der Hakennase.
So konzentriert wie ein Adler im Flug, der einen fliehenden Hasen im Feld unter sich beobachtet, betrachtete er den Stab, der an der Wand lehnte. Der knorrige Schaft und der Knebel oben pulsierten mit Licht aus dem Feuerschlot – aber nicht von einem inneren Licht. Nein, gerade jetzt sah er genauso aus wie meistens in den vergangenen siebzehn Jahren: ein unauffälliges Stück Holz.
Unauffällig . . . bis vor wenigen Nächten, als der Stab mit seinem eigenen Licht, seiner eigenen inneren Magie geleuchtet hatte.
Scree schaute aus den gelb umrandeten Augen scharf auf die dunklen Holzfasern, den festen Knebel oben und die feinen Linien am Schaft – die im flackernden Licht der Höhle fast geschnitzten Runen glichen.
Doch er sah nichts Magisches. Genau wie ihm seit jenerseltsamen Nacht nichts Ungewöhnliches an dem Stab aufgefallen war. Hatte er sich die ganze Sache nur eingebildet? Er hob die Hand, betrachtete die versengte Haut und die Blasen in seiner Handfläche. Nein, das konnte er sich nicht eingebildet haben!
Obwohl er seit jener Nacht nicht wieder zur Pforte am Kraterrand gegangen war, nagte die Erinnerung an jene grünen Flammen ständig an seinen Gedanken. Warum war der Stab plötzlich nach all diesen Jahren aufgewacht? Hatte der Stock ihn wirklich dazu gebracht, in jener Nacht hinauszugehen – entweder um Tamwyn zu suchen oder um zu sehen, wie der Stern verschwand? Und was konnte die Veränderung im Zauberstab am Himmel nur bedeuten?
Screes Gesichtsausdruck war finster, während er mit den scharfen Zehennägeln über den Boden scharrte. Auch wenn er den Stab so lange bei sich gehabt hatte, kam er ihm geheimnisvoller vor denn je. Wie der alte Mann gesagt hatte, von dem er ihn in jener dunklen Nacht vor langer Zeit bekommen hatte.
»Wer war das überhaupt?«, fragte er laut.
Während seine Worte in der Höhle widerhallten, dachte er an den uralten Weißbärtigen, der an jenem schroffen Berghang aus dem Nichts gekommen war. Der sich in einen Adler verwandeln . . . oder direkt in eine Steinwand fliegen konnte. Auf unbegreifliche Art hatte Scree diesen Mann geliebt, so wie er ihm in die Augen geschaut hatte, die so jung und so alt zugleich erschienen. Und mehr als das, diesem Mann verdankte er sein Leben.
Langsam griff er mit der versengten Hand nach demStab – und hielt inne, bevor er ihn berührte. »Und ich liebe ihn immer noch. Trotz der endlosen Aufgabe, die er mir gegeben hat.«
Er bewegte die Finger in der Luft. »Aber
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