Der Zauber von Avalon 01 - Sieben Sterne und die dunkle Prophezeiung
rußiger.
Dann wandte sie sich dem flachen Graben zu, in dem Shim vergangene Nacht geschlafen hatte.
Fort!
Brionna sprang auf, nahm ihren Zedernbogen und denKöcher mit Pfeilen und machte sich auf die Suche nach einer Spur des kleinen Riesen. Weit musste sie nicht gehen. Gerade am Fuß des Hangs unterhalb ihres Lagerplatzes sah sie zwei kleine Beine – und einen sehr großen Rumpf – aus einem Loch im Stamm eines alten Eisenbaums ragen.
Als sie näher kam, traten die Beine heftig um sich. Der Rumpf hüpfte und schwankte. Und Shim schrie mit gedämpfter Stimme im Stamm.
Er steckt fest!
Sie runzelte die Stirn.
Ist das wirklich derselbe heldenhafte Shim, von dem mir Großvater immer wieder Geschichten erzählte?
Sie ging zu dem Baum, legte Bogen und Pfeile weg und packte Shims Beine (was nicht einfach war bei seinem heftigen Strampeln, von den sackartigen Leggings ganz zu schweigen). Sie zog und zog, aber er rührte sich nicht. Also stemmte sie den Fuß gegen den Baumstamm und lehnte sich mit ihrem ganzen Gewicht zurück.
Ein lautes
Schluuuurpf!
– und Shim rutschte aus dem Stamm. Beide fielen rücklings auf den Boden und wirbelten eine Aschenwolke auf. Brionna rollte sich auf die Seite, um Shim zu betrachten – und erstickte fast.
Sein ganzer Kopf – einschließlich der wilden rosa Augen, der weißen Haare und der Kartoffelnase – war mit klebrigem gelbem Sirup bedeckt. Honig! Er tropfte ihm über die Ohren, rann über seine Schultern und die dicke Wollweste hinunter. Ascheklumpen, abgebrochene Nadeln und Rindensplitter hingen überall. Shim sah mehr wie ein sonderbarer, glitzernder Berg gelber Schmiere aus als wie ein Lebewesen.
Und dann redete er. Er öffnete den Mund, leckte einen Klecks Honig von der Knollennase und sagte: »Wie leckerlich glücklich ich sein! Etwas sagen mir, Rowanna, dieser tröpfelich gute Honig sein in diesem Baum.«
Er beugte sich vor und drückte die honigtriefenden Hände platschend auf den Boden. »Und wissen du, was noch? Dieser Feuerwurzelhonig sein warm, wie geröstlicht.« Er leckte sich ein paar Tropfen von der Nase und lächelte. »Ich sein nicht so glückelich, seit ich schrumpelen.«
Trotz allem musste Brionna lachen. »Du siehst aus wie ein Honigbaum.«
Plötzlich war Shims Lächeln wie weggewischt. »Ein Komischclown? Also! Das sein nicht sehr nett, Rowanna. Du sein vielleicht schön auf kindelige Art, aber du sollen lernen ein bisschen Benehmen.«
Sie verbesserte ihn nicht, es wäre sinnlos. Sie konnte ihn nur zur warmen Quelle führen und ihm beim Waschen helfen. Sonst würden bald so viele Zweige, so viel Schmutz und Rinde an ihm kleben, dass er sich nicht mehr rühren konnte und als wildäugiger Felsblock am Boden haftete.
Doch Shim hatte etwas anderes im Sinn. Er versuchte sich am Kopf zu kratzen, zog sich aber nur einen klebrigen Brocken aus den Haaren. »Diese Feuerwurzelbienen stechen schreckelich, hören ich. Heiße Stiche wie Kohlen, die brennen.«
Er schauderte so, dass Honigtropfen in alle Richtungen flogen. »Oh, wie ich stechelige Bienen
hassen.
Einfach hassen! Schon immer. Und immerfort. Bestimmt, definitiv, absolut.«
Brionna stand auf und streckte ihm die Hand entgegen. »Komm, du musst dich waschen.«
Er schielte sie durch eine Honigschicht an. »Was, nie mehr naschen? Nein, danken sehr. Selbst schrumpelig sein ich großer Nascher aus Leidenschaft. Und bleiben! Aber jetzt müssen ich wirklich diesen Bach finden und mich waschen.«
Brionna konnte nur hinauf zu den dunklen, rauchigen Klippen über ihnen schauen – und den Kopf schütteln.
26
Herr der Lüfte
H och über den Klippen flog ein großes schwarzes Geschöpf. Es schnitt durch die rot gefärbten Wolken wie ein Degen, bog manchmal zur einen, dann zur anderen Seite oder stieß senkrecht hinunter zum Angriff auf seine Beute. Klippenhasen liefen bei seinem Anblick sofort in Deckung. Und wer seinen kreischenden Ruf – halb Adler- und halb Menschenschrei – hörte, erstarrte vor Angst und konnte kein Barthaar mehr rühren. Denn das war der Ruf eines Adlermannes im Flug: der entsetzlichste Laut in dieser Region der hohen Klippen, Feuerschlote und schwelenden Vulkane.
Scree hob den rechten Flügel und legte sich in eine scharfe Kurve über dem Kamm. Wind blies ihm die langen braunen Haare gegen den Menschenkopf und legte die Reihen silberner Federn auf der Brust, den mächtigen Beinen und scharfen Krallen flach. Scree bog den oberen Flügel – in menschlicher Gestalt wäre das sein
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