Der Zauber Von Avalon 02 - Im Schatten der Lichtertore
Schattenwurzel ging Kulwych, die bleichen Hände auf dem Rücken gefaltet, durch einen schwach beleuchteten Korridor. Fackeln, die an den feuchten Steinwänden flackerten, beleuchteten die Narben und das verbrannte Fleisch seines entstellten Gesichts. Das zackige Wundmal, das von seinem Ohrstummel bis zum Kinn lief, der Nasenstumpf und das hohle Loch, in dem einst sein rechtes Auge gesessen hatte – das alles glühte unheimlich im Fackellicht.
Die Stiefel des Hexers schlugen auf den Steinboden, sie wurden nur langsamer, als er auf eine ramponierte graue Motte trat, die vor ihm gelandet war. Kulwych gluckste vor sich hin, als er den Körper knirschen hörte. Es war befriedigend zu wissen, dass er wenigstens für einige Geschöpfe immer noch der unbestrittene Herr war.
Die ständigen mürrischen Falten um seinen lippenlosen Mund vertieften sich. Die Dinge waren nicht so gelaufen, wie er geplant hatte. Nein, ganz und gar nicht.
Er ging um eine Biegung im Korridor, der Blick seines übrig gebliebenen Auges war auf die Tür vor ihm geheftet. Hinter dieser Tür wartete Rhita Gawr auf ihn. Und hinterdieser Tür war er selbst nichts als eine Motte, die darauf wartete, zermalmt zu werden.
In den Jahren, seit dieser Mistkerl Merlin sein Gesicht verwüstet hatte, war Kulwych auf nichts mehr aus als auf die Möglichkeit, die Welt von Avalon zu beherrschen. Sie von diesem Merlingestank zu befreien und so zu formen, wie es ihm gefiel. Er hatte seinen Herrn in der Höhe, den großen Rhita Gawr, um Hilfe angefleht und alles getan, was der Kriegsherr der Geister verlangt hatte. Er hatte sogar einen Kristall aus reinem Élano im See des weißen Geysirs geschaffen – trotz der Einmischung dieses Kümmerlings, der sich für den Erben Merlins hielt.
Aber was, fragte sich Kulwych, hatte ihm das alles gebracht? All die einsamen Jahre, in denen er gelitten, gewartet, geplant und eine Armee von Sklaven zusammengesucht hatte, um seinen geheimen Damm zu bauen?
Hoffnungsvoll zog er die Braue über seinem einzigen Auge hoch. Denn es gab selbst jetzt eine Möglichkeit. Wenn er irgendwie Rhita Gawrs Zorn entgehen konnte – und dem Herrn der Geister half, diese Welt zu erobern –, würde der Kriegsherr allmählich seine Aufmerksamkeit anderem zuwenden. Anderen Welten: der Erde zum Beispiel, auf die dieser elende Merlin gegangen war.
In diesem Fall würde jemand, der Rhita Gawr ergeben war, in Avalon zurückbleiben müssen. Um in seinem Namen zu regieren. Um alle Gegner zu vernichten, die den Widerstand wagten. Und um
. . .
Er hatte die Tür erreicht. Der stämmige Gobsken-Wachmann, der Ersatz für den, der von Deth Macoll getötet wordenwar, zog sich sofort zurück und ließ ihn durch. Hinter den Schlitzaugen des Gobskens ahnte Kulwych eine gewisse Angst. Das freute ihn immer.
»Hmmja, du Gobskenlump. Du weißt, wer wirklich dein Herr ist.«
Er schob die Tür auf. Aus der Finsternis dahinter, die nur von einem pulsierenden blutroten Licht erhellt wurde, kam eine raue Stimme. »Und du, mein kleiner Hexer, weißt, wer wirklich deiner ist.«
Kulwych schluckte. »J-ja, mein Herr.« Er trat ein, schloss die Tür hinter sich und wandte sich Rhita Gawr zu.
»Was starrst du mich so an, Kulwych? Tut es dir jetzt Leid, dass du mich um Hilfe gebeten hast?«
»Nein, mein Herr. Nie! Ich war nur
. . .
«
»Nur was?«, zischte die Stimme.
»Nur erstaunt, Meister, wie du gewachsen bist. Du hast dich so verändert seit deiner Ankunft in Avalon! Du bist nicht mehr nur ein Seil aus Rauch oder eine Schlange, die in der Luft schwebt – sondern eine große Giftschlange, eine Viper. Sogar seit ich dich heute Morgen verlassen habe, um Harlechs Waffenschmiede zu inspizieren, hast du an Größe zugenommen.«
»Und ebenso, mein Kleiner, an Macht. Mehr, als du weißt.«
Rhita Gawr, der seinen Schlangenkörper eng um den blutroten Kristall Vengélano gewickelt hatte, entrollte sich. Rostbraune Lichtstreifen schimmerten über seine lange Gestalt und blitzten auf den schwarzen Schuppen, die gerade angefangen hatten zu wachsen. Hinter dem dreieckigen Vipernkopf waren zwei knochige Knoten erschienen – daserste Zeichen entstehender Flügel. Schon sah er weniger wie eine Schlange aus – und mehr wie ein Drache.
Doch so sehr sich Rhita Gawrs Gestalt auch verändert hatte, es gab immer noch eine Spur von ihm, wie er vor Wochen gewesen war – eine Andeutung des rauchähnlichen Geschöpfs, das mehr einem Schatten als irgendetwas Lebendigem geglichen hatte.
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