Der Zauber von Savannah Winds
Hängematte. Am späten Nachmittag kam vom Meer her eine Brise auf, die sanft über ihre dunkelbraune Haut strich und ihr Haar zerzauste. Fleur hatte immer ein Buch zur Hand, schaffte aber nie mehr als zwei Kapitel, bevor sie einschlief. Das träge Leben war wie eine Droge, und sie erlag diesem Reiz allzu leicht.
Nachdem sie an jenem Morgen die Vögel gefüttert hatte, saß Fleur wie üblich am Ende des Stegs, erzeugte mit den Zehen kleine Wellen im ruhigen, tiefen Wasser und warf einen Blick auf die Insel, die am Horizont schimmerte. Sie hatte geplant, mit dem Ruderboot hinauszufahren und das Angeln auszuprobieren – im großen Lagerraum unter der Veranda hatte sie Ruten und Schnüre entdeckt – , aber es war heute einfach zu heiß dazu, und sie war viel zu faul.
Sie saß da, ließ die Beine baumeln, spürte die kleinen schwarzen Fische, die unter ihren Füßen umherflitzten, und fragte sich, wie sie jemals die Kraft oder das Bedürfnis aufbringen solle, diesen Platz zu verlassen. Brisbane war so weit weg – ein anderes Leben in einer anderen Welt – , und sie konnte sich nicht vorstellen, jemals wieder dort angebunden zu sein.
»Hallo.«
In dem Bewusstsein, dass sie nur ein dünnes Baumwollnachthemd trug, und dankbar dafür, dass sie nicht gerade nackt schwamm, verschränkte Fleur die Arme vor der Brust; sie hoffte nur, dass es nicht allzu durchsichtig war. »Hallo, Blue. Woher kommen Sie denn auf einmal? Ich habe den Wagen gar nicht gehört.«
Blue hatte die Stiefel ausgezogen. Er trug noch immer die vergammelte alte Jeans, hatte jedoch das Hemd gewechselt. Der Hut beschattete sein Gesicht, als er über den kurzen Steg tappte. Er setzte sich neben Fleur, krempelte seine Hosenbeine hoch und hängte die Füße ins Wasser.
»Schön, nicht?« Er grinste. »Das ist meine liebste Tageszeit. Annies auch.«
Fleur war sich des warmen, muskulösen Arms sehr wohl bewusst, der an ihrem entlangstreifte, und des starken Schenkels, der dicht neben ihrem lag. Sie roch die Sonne auf seiner Haut, sah die dunklen Stoppeln an seinem Kinn und das Rabenschwarz seines zotteligen Haars. Wenn Blue sie anschaute, konnte sie den dunklen Ring erkennen, der jede Iris umrandete, wodurch das Blau seiner Augen noch intensiver wirkte.
Da seine Nähe sie eigenartig verstörte, rückte sie ein wenig von ihm ab. »Ist Annie jeden Tag hier heruntergekommen?«, fragte sie in der Hoffnung, ein wenig Lässigkeit zustande zu bringen.
Er grinste und veränderte die Sitzhaltung, sodass der Abstand zwischen ihnen größer wurde. »Ja, solange sie die Treppe noch schaffte. »Gegen Ende habe ich sie heruntergetragen und hier mit ihr gesessen, bis sie wieder ins Bett musste.«
Fleur saß ein Kloß im Hals, als sie sich vorstellte, wie dieser sportliche, lebhafte Mann die zerbrechliche kleine Annie die Treppe hinuntertrug, damit sie diese prächtige Aussicht genießen konnte. »Das war sehr nett von Ihnen. Sie haben sie offenbar sehr gemocht.« Sie betrachtete sein ausdrucksstarkes Gesicht, während er seine Worte abwog.
»Sie war eine ganz besondere Lady«, sagte er schließlich und schaute mit unbestimmtem Blick zum Horizont. »Es war eine Ehre, ihr helfen zu können.«
Sie schwiegen; jeder hing seinen Gedanken nach, und Fleur staunte, wie Äußerlichkeiten doch täuschen konnten, denn wer hätte gedacht, dass dieser kraftstrotzende, robuste Mann eine solche Zärtlichkeit gegenüber einer Frau bewiesen hatte, die seine Großmutter hätte sein können.
»Sie leben wohl in der Nähe, wenn Sie jeden Tag hergekommen sind«, bohrte sie sanft nach.
»Ich komme ziemlich viel rum, besonders jetzt, wo Annie nicht mehr da ist. Ich behalte dieses Anwesen im Auge, und zweimal im Jahr fahre ich raus nach Savannah Winds und tausche mich mit meinem Kumpel Djati aus.«
»Sie kennen Djati?«
»Hm. Er wird allmählich alt, aber er ist noch immer ein toller Kerl und ein guter Kumpel. Er und seine Familie halten Savannah Winds gut in Schuss. Ich hoffe, Sie lassen sie dort wohnen.«
Ihre Gedanken überschlugen sich. »Selbstverständlich. Ich freue mich schon darauf, bald mal hinzufahren und sie alle kennenzulernen. Für mich klingt das aber so, als wären Sie für Annie doch eine Art Verwalter gewesen, obwohl Sie etwas anderes behauptet haben.«
»Von mir aus können Sie mich so bezeichnen, wenn Sie wollen«, murmelte er. »Aber Amy macht ihre Arbeit auch gut.«
»Ja, wahrscheinlich. Aber ich habe das Gefühl, dass Sie mehr mit Birdsong verbindet als Amy.
Weitere Kostenlose Bücher