Der Zauber von Savannah Winds
durch das junge Getreide fraßen, Vieh, das an Parasiten einging, Kälber, die von Krokodilen gefressen wurden.
Das alles klang trostlos, und Fleur war voller Bewunderung für Annies stoische Entschlossenheit, trotz aller Widrigkeiten Erfolg zu haben. Doch zwischen diesen sauber geschriebenen Zeilen lag auch eine tiefe Traurigkeit, denn die lang ersehnten Kinder hatten sich noch immer nicht angekündigt und das fortwährende verbitterte Schweigen ihres Bruders bestärkte offenkundig Annies Wunsch nach einer Familie.
Fleur trank den Tee aus und schaute über das Wasser zur fernen Insel. Annie hätte im Gegensatz zum Rest meiner Familie meinen Kinderwunsch verstanden, dachte sie. Anscheinend spiegelt unserer beider Leben – in sehr unterschiedlichen Verhältnissen geführt, jedoch von den gleichen Schatten verdunkelt – jeweils dasjenige der anderen.
Sie schob die Gedanken beiseite und wandte sich den Briefen zu, die sie noch zu lesen hatte. Der kurze, schockierende Brief vom März 1937 trieb ihr die Tränen in die Augen.
Mein geliebter Mann John Harvey ist gestorben. Nach einem Unfall mit einem Schaufelbagger bekam er eine Blutvergiftung. Die Wunde entzündete sich rasch infolge von Hitze und Feuchtigkeit, und ich konnte ihn nicht rechtzeitig in die Klinik nach Cloncurry bringen. Gestern fand die Beerdigung statt, bei der kleinen Kirche dieses weiten, leeren Landstrichs, und ich kann nur beten, dass ich die Kraft und den Mut aufbringen werde, Johns Werk allein fortzusetzen.
»O Annie, wie tapfer du warst!«, flüsterte Fleur. »Und dennoch hast du, wenn man nach diesen Briefen urteilt, nie die Hoffnung auf eine Versöhnung mit Dad aufgegeben. Es tut mir leid, Annie, dass er so unfreundlich war. Ich wünschte, er wäre anders gewesen, uns beiden zuliebe.«
Sie legte den traurigen Brief zu den anderen, und nachdem sie ihre Gedanken gesammelt und die Tränen getrocknet hatte, griff sie nach dem nächsten. Stirnrunzelnd erkannte sie, dass dieser tatsächlich geöffnet, aber viele Jahre nach dem letzten geschrieben worden war. Sie schaute durch den Stapel, ob sie keinen dazwischen übersehen hatte, und kam zu dem Schluss, dass Annie es schließlich wohl aufgegeben hatte, sich mit Don zu versöhnen. Aber was war geschehen, dass sie erneut schrieb? Hatte Annie eine weitere Tragödie getroffen?
Fleurs Blick fiel auf den darunterliegenden Brief. Was es auch war, endlich hatte sie eine Antwort von Dad erhalten – noch dazu eine umgehende, denn beide Briefe datierten vom September 1966. Fleur wurde mit einem Schlag klar, dass sie zu jener Zeit sechs Monate alt war.
Beinahe ängstlich begann Fleur Annies Brief zu lesen, und als sie ans Ende kam und rasch die Antwort ihres Vaters überflog, spürte sie mit solcher Macht Wut in sich aufsteigen, dass es ihr den Atem raubte. Ihre Umgebung geriet ins Schwanken, während sie mühsam den gehässigen Inhalt zu begreifen suchte. Der ungeheure Verrat ihres Vaters hatte ihr gesamtes Leben überschattet – und Margot und Bethany mussten mit ihm unter einer Decke stecken.
Sie stolperte vom Steg, die Briefe an die Brust gedrückt, rannte zum Haus und rief nach Melanie. »Zieh dich an, und pack deine Sachen!«, befahl sie dem zerzausten, noch verschlafenen Mädchen. »Wir brechen schon heute nach Brisbane auf.«
Die erste Woche in der Bäckerei hatte Bethany richtig Spaß gemacht. Frank war der perfekte Chef. Er hörte sich ihre Vorschläge an, ohne darüber zu spotten, und bot Rat und Hilfe an. Anscheinend machte es ihm nichts aus, wenn ihr der eine oder andere Fehler unterlief. Ihre Kuchen und Pasteten waren schnell ausverkauft gewesen. Deshalb hatte Frank vorgeschlagen, sie solle doch ab sofort die große, fachmännisch eingerichtete Küche des Cafés benutzen. Daher fingen ihre Arbeitstage nun früh an und dauerten bis spät in den Abend, da sie die Angebote für den nächsten Tag vorbereitete.
Frank blieb manchmal und trank noch eine Tasse Kaffee, nachdem er den Teig für das Brot am nächsten Morgen angesetzt hatte, und ein paarmal kam seine Mutter Sabatina hinunter, die in der größeren der beiden Wohnungen im Obergeschoss wohnte, und leistete Beth Gesellschaft. Das Ganze fühlte sich für Bethany gar nicht nach Arbeit an, denn Dianne war eine unkomplizierte Kollegin und die Gäste unterhielten sich gern mit ihr beim Kaffee oder Lunch. Das Frühstücksangebot erfreute sich zunehmender Beliebtheit. Bethany fühlte sich wohl und kam sich zum ersten Mal seit Jahren nützlich
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