Der Zauber von Savannah Winds
wusstest also, dass meine Mutter mich nicht im Stich gelassen hat? Dir war bekannt, dass sie aufgrund seiner Taten Selbstmord begangen hat?«
Bethany schnappte nach Luft. »Nein, ich wusste nicht, dass sie auf diese Weise gestorben ist. Ich dachte immer, es sei ein Autounfall gewesen.« Sie seufzte tief. »Ich war im Internat, aber als ich Margot fragte, warum du ohne deine Mutter zurückgekommen bist, sagte Margot nur, Dad habe dich zurückgebracht, weil Selina dich nicht habe behalten wollen.«
»Das war eine schreckliche Lüge. Er hat mich schlichtweg entführt, und meine Mutter und Annie haben verzweifelt versucht, mich zurückzuholen.«
»Ich wusste, dass Annie bei uns zu Hause war«, räumte Bethany ein. »Ich habe sie von einem Fenster im oberen Stockwerk aus gesehen und das meiste von ihrem Streit mitbekommen. Da erst ist mir klar geworden, dass an der Geschichte viel mehr dran war, als man behauptet hatte. Ich habe Margot dazu gebracht, mir alles zu erzählen, aber natürlich wusste sie nur, was Dad ihr gesagt hatte – was nicht viel war.«
»Warum habt ihr mir nichts erzählt?«
»Du warst damals noch sehr jung«, rief sie Fleur leise ins Gedächtnis. »Und später, als wir von Selinas Tod erfuhren, wussten Margot und ich, dass wir an der Situation nichts ändern konnten, und wir dachten, es sei das Beste, die traurige Sache für uns zu behalten.«
»Verstehe.« Fleur war ermattet, die Tränen waren versiegt.
»Tut mir leid, Fleur«, sagte Bethany. »Aber was hätte es gebracht, wenn du es früher erfahren hättest? Wir hatten keinerlei Einfluss auf das Geschehen – aber Margot und ich haben uns die größte Mühe gegeben, dir die Mutter zu ersetzen – ich zumindest. Ich dachte, du bräuchtest mehr als nur Kindermädchen, und Dad war nun wirklich kein zupackender, warmherziger Vater, oder?«
Seufzend musste Fleur ihrer Schwester zustimmen. »Du hast mich wundervoll bemuttert«, sagte sie leise, »und ich weiß es heute noch ebenso zu schätzen wie damals – aber ich werde nie wieder ein Wort mit Dad reden, das kann ich dir versichern.«
»Margot sagt dasselbe«, murmelte Bethany. »Die beiden hatten offensichtlich einen fürchterlichen Streit, und irgendwie tut er mir beinahe leid.« Ihr Tonfall wurde leichter, als sie von Margots Coming-out und deren standesamtlicher Hochzeit in der bevorstehenden Woche berichtete. »Kommst du hin?«
»Ich habe vor, Brisbane innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden zu verlassen. Ich möchte nach Savannah Winds und das Grab meiner Mutter besuchen.«
Am Ende der Unterhaltung entschuldigte Bethany sich noch einmal, und als Fleur den Hörer auflegte, wanderten ihre Gedanken zu den Tagebüchern, die sie aus Birdsong mitgenommen hatte. Sie würde diese Nacht kein Auge zutun, und wer könnte sie besser durch die einsamen dunklen Stunden begleiten als Annie?
Sie holte die Tagebücher aus dem Koffer, stapelte sie neben dem Bett und sprang unter die Dusche. Nach einer halben Stunde saß sie, an die Kissen gelehnt, im Bett, und hatte die kleinen Bände um sich herum verteilt. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund gab es kein Tagebuch über die Ehejahre mit John Harvey oder die beiden Jahre nach seinem Tod. Fleur vermutete, dass die Rinderfarm Annie damals zu sehr in Anspruch nahm, sodass sie nicht die Zeit hatte, sich hinzusetzen und Tagebuch zu führen.
Fleur schlug die erste Seite des jüngsten Bandes auf. Annies saubere Handschrift war trotz des brüchigen Papiers und der verblassenden Tinte noch lesbar, und Fleur ließ sich in eine andere Zeit und eine andere Welt hineinziehen.
Golf von Carpentaria, Oktober 1939
Annie schauderte trotz der zunehmenden Hitze. Sie ließ sich nicht leicht verängstigen, denn sie hatte schon einige Stürme überstanden. Aber die schweren Wolken, die über den Himmel zogen, kündeten einen heftigen Sturm an, und die stille Bedrohung, die über der weiten Savanne hing, schien von Minute zu Minute zu wachsen.
Als das unerwünschte Gefühl der Isolation und Hilflosigkeit, das sie nach dem Tod ihres Mannes erlebt hatte, sie erneut überkam, schüttelte sie es entschieden ab. John war seit zwei Jahren tot. Obwohl sie erst fünfundzwanzig war, hatte sie bereits bewiesen, dass sie die typischen Widrigkeiten hier draußen – Heuschreckenplagen, Überschwemmungen und Krankheiten – überleben konnte, auch wenn jeder einsame Tag eine schwere Herausforderung bedeutete.
Derselbe Kriegseinsatz, der ihr die angestellten Männer geraubt
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