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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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forschendem Schrecken an.) Und sein Herr Vetter? – Der wolle Soldat sein im Tieflande, er sei Offiziersaspirant. – Oh, sagte sie, das Kriegerhandwerk sei freilich auch ein Beruf, der zum Ernst anhalte, ein Soldat müsse damit rechnen, unter Umständen mit dem Tode in nahe Be {445} rührung zu kommen und tue wohl gut, sich frühzeitig an seinen Anblick zu gewöhnen. Sie beurlaubte die jungen Leute mit Dank und freundlicher Fassung, die Achtung erwecken mußte in Anbetracht ihrer beklommenen Lage und besonders der hohen Oxygenrechnung, die der Gatte zurückgelassen. Die Vettern kehrten in ihr Stockwerk zurück. Hans Castorp zeigte sich befriedigt von dem Besuch und geistlich angeregt durch die empfangenen Eindrücke.
    »Requiescat in pace«, sagte er. »Sit tibi terra levis. Requiem aeternam dona ei, Domine. Siehst du, wenn es sich um den Tod handelt und man zu Toten spricht oder von Toten, so tritt auch wieder das Latein in Kraft, das ist die offizielle Sprache in solchen Fällen, da merkt man, was für eine besondere Sache es mit dem Tode ist. Aber es ist nicht aus humanistischer Courtoisie, daß man Lateinisch redet zu seinen Ehren, die Totensprache ist kein Bildungslatein, verstehst du, sondern von einem ganz anderen Geist, einem ganz entgegengesetzten, kann man wohl sagen. Das ist Sakrallatein, Mönchsdialekt, Mittelalter, so ein dumpfer, eintöniger, unterirdischer Gesang gewissermaßen, – Settembrini fände kein Gefallen daran, es ist nichts für Humanisten und Republikaner und solche Pädagogen, es ist von einer anderen Geistesrichtung, der anderen, die es gibt. Ich finde, man muß sich klar sein über die verschiedenen Geistesrichtungen oder Geistesstimmungen, wie man wohl richtiger sagen sollte, es gibt die fromme und die freie. Sie haben beide ihre Vorzüge, aber was ich gegen die freie, die Settembrinische meine ich, auf dem Herzen habe, ist nur, daß sie die Menschenwürde so ganz in Pacht zu haben glaubt, das ist übertrieben. Die andere enthält auch viel menschliche Würde in ihrer Art und gibt Veranlassung zu einer Menge Wohlanstand und properer Haltung und nobler Förmlichkeit, mehr sogar als die ›freie‹, obgleich sie die menschliche Schwäche und Hinfälligkeit ja besonders im Auge hat und der Gedanke an Tod und {446} Verwesung eine so wichtige Rolle darin spielt. Hast du mal im Theater den ›Don Carlos‹ gesehen und wie es zuging am spanischen Hof, wenn König Philipp hereinkommt, ganz in Schwarz, mit dem Hosenbandorden und dem Goldenen Vlies, und langsam den Hut zieht, der beinahe schon aussieht wie unsere Melonen, – so nach oben hin zieht er ihn und sagt: ›Bedeckt euch, meine Granden‹ oder so ähnlich, – im höchsten Grade gemessen ist das, darf man wohl sagen, von Gehenlassen und schlottrigen Sitten kann da nicht die Rede sein, im Gegenteil, und die Königin sagt denn ja auch: ›In meinem Frankreich wars doch anders‹, natürlich, der ist es zu akkurat und umständlich, die möchte es fideler haben, menschlicher. Aber was heißt menschlich? Menschlich ist alles. Das spanisch Gottesfürchtige und Demütig-Feierliche und streng Abgezirkelte ist eine sehr würdige Fasson der Menschlichkeit, sollte ich meinen, und andererseits kann man mit dem Worte ›menschlich‹ jede Schlamperei und Schlappheit zudecken, da wirst du mir recht geben.«
    »Da gebe ich dir recht,« sagte Joachim, »Schlappheit und Gehenlassen kann ich natürlich auch nicht leiden, Disziplin muß sein.«
    »Ja, das sagst du als Militär, und ich gebe zu, beim Militär versteht man sich auf diese Dinge. Die Witwe hatte ganz recht, von eurem Handwerk zu sagen, es habe eine ernsthafte Bewandtnis damit, denn immer müßtet ihr mit dem äußersten Ernstfalle rechnen und damit, es mit dem Tod zu tun zu bekommen. Ihr habt die Uniform, die ist knapp und proper und hat einen steifen Kragen, das gibt euch bienséance. Und dann habt ihr die Rangordnung und den Gehorsam und erweist euch umständlich Ehre untereinander, das geschieht in spanischem Geiste, aus Frömmigkeit, ich mag es im Grunde wohl leiden. Bei uns Zivilisten sollte von diesem Geiste auch mehr herrschen, in unseren Sitten und unserm Gehaben, das wäre mir {447} lieber, ich fände es passend. Ich finde, die Welt und das Leben ist danach angetan, daß man sich allgemein schwarz tragen sollte, mit einer gestärkten Halskrause statt eures Kragens, und ernst, gedämpft und förmlich miteinander verkehren im Gedanken an den Tod, – so wär es mir recht, es

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