Der Zauberberg
gebracht hat. Aber er hat das Noviziat absolviert und die ersten Gelübde {617} getan. Die Krankheit zwang ihn, seine theologischen Studien zu unterbrechen. Er hat dann noch einige Jahre als Präfekt in einem Ordensinstitut Dienst verrichtet, das heißt: als Aufseher, Präceptor, Gouverneur der jungen Zöglinge. Das kam seinen pädagogischen Neigungen entgegen. Hier kann er ihnen weiter nachhängen, indem er am Fridericianum Lateinisch lehrt. Er ist seit fünf Jahren hier. Es ist unsicher geworden, ob und wann er diesen Ort wird verlassen dürfen. Aber er ist Angehöriger des Ordens, und wäre er ihm selbst lockerer verbunden, es könnte ihm nirgends fehlen. Ich sagte Ihnen, daß er für seine Person arm, will sagen: besitzlos ist. Natürlich, das ist Vorschrift. Aber der Orden verfügt über ungemessene Reichtümer, und er sorgt für die Seinen, wie Sie sahen.«
»Donner – Keil«, murmelte Hans Castorp. »Und ich habe überhaupt nicht gewußt und gedacht, daß es sowas in allem Ernste noch gäbe! Ein Jesuit. Ja so! … Aber sagen Sie mir eins: Wenn er nun also von dorther so wohl versorgt und versehen ist – warum in aller Welt wohnt er dann … Ich will gewiß Ihrem Logis nicht zu nahe treten, Herr Settembrini, Sie haben es reizend bei Lukaček, so angenehm separiert und außerdem besonders traulich. Ich meine aber: wenn Naphta es nun doch so dicke hat, um mich gewöhnlich auszudrücken – warum nimmt er sich nicht eine andere Wohnung, statiöser, mit ordentlichem Aufgang und großen Zimmern, in einem feinen Haus? Es hat ja direkt was Verstecktes und Abenteuerliches, wie er da in dem Loch mit all seiner Seide …«
Settembrini zuckte die Achseln.
»Es müssen wohl Takt- und Geschmacksgründe sein,« sagte er, »die ihn dazu bestimmen. Ich nehme an, er verbessert sein antikapitalistisches Gewissen, indem er die Zimmer eines Armen bewohnt, und sich schadlos hält durch die Art, wie er sie bewohnt. Auch Diskretion wird im Spiele sein. Man bindet es den Leuten nicht auf die Nase, wie gut einen der Teufel {618} von hinten versorgt. Man schützt eine recht unscheinbare Fassade vor und entfaltet dahinter seinen seidenen Priestergeschmack …«
»Hochmerkwürdig!« sagte Hans Castorp. »Absolut neu und geradezu aufregend für mich, wie ich gestehe. Nein, wir sind Ihnen wirklich zu Dank verbunden, Herr Settembrini, für diese Bekanntschaft. Wollen Sie glauben, daß wir noch manches liebe Mal hingehen werden und ihn besuchen? Das ist ausgemacht. So ein Umgang erweitert ja den Horizont in ganz unverhofftem Grade und gibt Einblick in eine Welt, von deren Existenz man keine blasse Ahnung hatte. Ein richtiger Jesuit! Und wenn ich sage: ›richtig‹, so gebe ich mir selbst das Stichwort, für das, was mir durch den Kopf geht, und was ich denn doch noch bemerken muß. Ich frage: Ist er denn richtig? Ich weiß wohl, Sie meinen, daß es überhaupt nicht richtig ist mit einem, den der Teufel von hinten versorgt. Was ich aber meine, läuft auf die Fragestellung hinaus: Ist er richtig
als Jesuit
– das geht mir im Kopf herum. Er hat da Dinge geäußert – Sie wissen, welche ich meine – über den modernen Kommunismus und über den Gotteseifer des Proletariats, das seine Hand nicht zurückhalten soll vom Blute – kurzum, Dinge, ich sage nichts weiter darüber, aber Ihr Großvater mit seiner Bürgerpike war ja das reine Lämmlein dagegen, entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise. Geht denn das? Hat das die Zustimmung seiner Vorgesetzten? Verträgt es sich mit der römischen Lehre, für die doch der Orden in aller Welt intrigieren soll, soviel ich weiß? Ist es nicht – wie heißt das Wort – häretisch, abweichend, inkorrekt? Das überlege
ich
mir bezüglich Naphtas und hörte gern, was Sie denken.«
Settembrini lächelte.
»Sehr einfach. Herr Naphta ist allerdings in erster Linie Jesuit, ist es recht und ganz. Zum zweiten aber ist er ein Mann von Geist – ich würde sonst nicht seine Gesellschaft suchen –, {619} und als solcher trachtet er nach neuen Kombinationen, Anpassungen, Anknüpfungen, zeitgemäßen Abwandlungen. Sie sahen mich selbst überrascht durch seine Theorien. Er hatte sich mir so weitgehend noch nicht offenbart. Ich benutzte die Anregung, die ihm sichtlich Ihre Gegenwart gewährte, um ihn zu reizen, in gewisser Beziehung sein letztes Wort zu sagen. Es lautete schnurrig genug, gräßlich genug …«
»Ja, ja; aber warum ist er nicht Pater geworden? Er hätte doch wohl das Alter
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