Der Zauberberg
an einem Schober, und er träumte gewissermaßen fort, – nicht mehr in Bildern, sondern gedankenweise, aber darum nicht weniger gewagt und kraus.
»Dacht ich’s doch, daß das geträumt war«, faselte er in sich hinein. »Ganz reizend und fürchterlich geträumt. Ich wußte es im Grunde die ganze Zeit, und alles hab ich mir selbst gemacht, – den Laubpark und die liebe Feuchtigkeit und dann das Wei {746} tere, Schönes wie Scheußliches, ich wußte es beinahe im voraus. Wie kann man aber so was wissen und sich machen, sich so beglücken und ängstigen? Woher hab ich den schönen Inselgolf und dann den Tempelbezirk, wohin die Augen des einen Angenehmen, der für sich stand, mich wiesen? Man träumt nicht nur aus eigener Seele, möcht ich sagen, man träumt anonym und gemeinsam, wenn auch auf eigene Art. Die große Seele, von der du nur ein Teilchen, träumt wohl mal durch dich, auf deine Art, von Dingen, die sie heimlich immer träumt, – von ihrer Jugend, ihrer Hoffnung, ihrem Glück und Frieden … und ihrem Blutmahl. Da liege ich an meiner Säule und habe im Leibe noch die wirklichen Reste meines Traums, das eisige Grauen vor dem Blutmahl und auch die Herzensfreude noch von vorher, die Freude an dem Glück und an der frommen Gesittung der weißen Menschheit. Es kommt mir zu, behaupte ich, ich habe verbriefte Rechte, hier zu liegen und dergleichen zu träumen. Ich habe viel erfahren bei Denen hier oben von Durchgängerei und Vernunft. Ich bin mit Naphta und Settembrini im hochgefährlichen Gebirge umgekommen. Ich weiß alles vom Menschen. Ich habe sein Fleisch und Blut erkannt, ich habe der kranken Clawdia Pribislav Hippes Bleistift zurückgegeben. Wer aber den Körper, das Leben erkennt, erkennt den Tod. Nur ist das nicht das Ganze, – ein Anfang vielmehr lediglich, wenn man es pädagogisch nimmt. Man muß die andere Hälfte dazu halten, das Gegenteil. Denn alles Interesse für Tod und Krankheit ist nichts als eine Art von Ausdruck für das am Leben, wie ja die humanistische Fakultät der Medizin beweist, die immer so höflich auf lateinisch zum Leben und seiner Krankheit redet und nur eine Abschattung ist des einen großen und dringlichsten Anliegens, das ich mir nun mit aller Sympathie bei seinem Namen nenne: Es ist das Sorgenkind des Lebens, es ist der Mensch und ist sein Stand und Staat … Ich verstehe mich nicht wenig auf ihn, habe viel gelernt bei Denen {747} hier oben, bin hoch vom Flachlande hinaufgetrieben, so daß mir Armem fast der Atem ausging; doch hab ich nun vom Fuße meiner Säule einen nicht schlechten Überblick … Mir träumte vom Stande des Menschen und seiner höflich-verständigen und ehrerbietigen Gemeinschaft, hinter der im Tempel das gräßliche Blutmahl sich abspielt. Waren sie so höflich und reizend zueinander, die Sonnenleute, im stillen Hinblick auf eben dies Gräßliche? Das wäre eine feine und recht galante Folgerung, die sie da zögen! Ich will es mit ihnen halten in meiner Seele und nicht mit Naphta – übrigens auch nicht mit Settembrini, sie sind beide Schwätzer. Der eine ist wollüstig und boshaft, und der andere bläst immer nur auf dem Vernunfthörnchen und bildet sich ein, sogar die Tollen ernüchtern zu können, das ist ja abgeschmackt. Es ist Philisterei und bloße Ethik, irreligiös, so viel ist ausgemacht. Doch will ich’s auch mit des kleinen Naphta Teil nicht halten, mit seiner Religion, die nur ein guazzabuglio von Gott und Teufel, Gut und Böse ist, eben recht, damit das Einzelwesen sich kopfüber hineinstürze, zwecks mystischen Unterganges im Allgemeinen. Die beiden Pädagogen! Ihr Streit und ihre Gegensätze sind selber nur ein guazzabuglio und ein verworrener Schlachtenlärm, wovon sich niemand betäuben läßt, der nur ein bißchen frei im Kopfe ist und fromm im Herzen. Mit ihrer aristokratischen Frage! Mit ihrer Vornehmheit! Tod oder Leben – Krankheit, Gesundheit – Geist und Natur. Sind das wohl Widersprüche? Ich frage: sind das Fragen? Nein, es sind keine Fragen, und auch die Frage nach ihrer Vornehmheit ist keine. Die Durchgängerei des Todes ist im Leben, es wäre nicht Leben ohne sie, und in der Mitte ist des homo Dei Stand – inmitten zwischen Durchgängerei und Vernunft – wie auch sein Staat ist zwischen mystischer Gemeinschaft und windigem Einzeltum. Das sehe ich von meiner Säule aus. In diesem Stande soll er fein galant und freundlich ehrerbietig mit sich selber verkehren, – {748} denn er allein ist vornehm, und nicht
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