Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
lange, bis eine Untersuchung am Horizont erschien, die durch die vermaledeiten Schwankungen seiner Temperatur zur Notwendigkeit geworden war, und von der viel abhängen würde. Über das Ergebnis dieser Untersuchung hörte Hans Castorp dann lange nichts, und als es geschah, war es nicht Joachim, der ihm schrieb, – sei es, weil er nicht in der Lage war, zu schreiben, oder weil er sich schämte, – sondern seine Mutter, Frau Ziemßen, und sie telegraphierte. Sie zeigte an, die Beurlaubung Joachims auf einige Wochen sei ärztlicherseits als unumgänglich befunden worden. Hochgebirge indiziert, alsbaldige Abreise geraten, Belegung zweier Zimmer erbeten. Rückantwort bezahlt. Gezeichnet: Tante Luise.
    {753} Es war Ende Juli, als Hans Castorp in seiner Balkonloge diese Depesche durchflog, dann las und wieder las. Er nickte leise dazu, nicht nur mit dem Kopf, sondern mit dem ganzen Oberkörper, und sagte zwischen den Zähnen: »Szo, szo, szo! Szieh, szieh, szieh! – Joachim kommt wieder!« durchfuhr ihn plötzlich die Freude. Aber er wurde gleich wieder still und dachte: »Hm, hm, schwerwiegende Neuigkeiten. Man könnte sie auch als schöne Bescherung bezeichnen. Verdammt, das ist schnell gegangen – schon reif für die Heimat! Die Mutter fährt mit –« (er sagte »die Mutter«, nicht »Tante Luise«; sein Gefühl für Verwandtschaft, Familienbeziehungen hatte sich unvermerkt bis zur Fremdheit abgeschwächt) – »das ist gravierend. Und gerade vor den Manövern, auf die der Gute so brannte! Hm, hm, es liegt eine hübsche Portion Gemeinheit darin, höhnische Gemeinheit, es ist ein gegen-idealistisches Faktum. Der Körper triumphiert, er will es anders als die Seele, und setzt sich durch, zur Blamage der Hochfliegenden, die lehren, er sei der Seele untertan. Es scheint, sie wissen nicht, was sie sagen, denn wenn sie recht hätten, so würfe das ein zweifelhaftes Licht auf die Seele, in einem Fall wie diesem. Sapienti sat, ich weiß, wie ichs meine. Denn die Frage, die
ich
aufstelle, ist eben, wie weit es verfehlt ist, sie gegeneinander zu stellen, wie weit sie vielmehr unter einer Decke stecken und eine abgekartete Partie spielen, – das fällt den Hochfliegenden zu ihrem Glück nicht ein. Guter Joachim, wer wollte dir und deinem Biereifer zu nahe treten! Du meinst es ehrlich – aber was ist Ehrlichkeit, frage ich, wenn Körper und Seele nun mal unter einer Decke stecken? Sollte es möglich sein, daß du gewisse erfrischende Düfte, eine hohe Brust und ein grundloses Gelächter nicht hast vergessen können, die am Tische der Stöhr deiner warten? … Joachim kommt wieder!« dachte er neuerdings und zog sich zusammen vor Freude. »Er kommt in schlechtem Zustande, offenbar, aber wir werden wieder zu zweien sein, ich werde nicht mehr so {754} ganz auf eigene Hand hier oben leben. Das ist gut. Es wird nicht alles genau wie früher sein; sein Zimmer ist ja besetzt: Mistreß Macdonald, da hustet sie auf ihre klanglose Art und hat natürlich wieder die Photographie ihres kleinen Sohnes neben sich auf dem Tischchen oder auch in der Hand. Aber das ist finales Stadium, und wenn das Zimmer noch nicht wieder vorgemerkt ist, so … Vorläufig wird ja ein anderes zu haben sein. 28 ist frei, meines Wissens. Ich will gleich auf die Verwaltung und namentlich zu Behrens. Ist das eine Neuigkeit, – traurig von der einen und famos von der anderen Seite, aber jedenfalls eine mächtige Neuigkeit! Ich möchte nur auf den gdießenden Kameraden warten, der gleich kommen muß, da es, wie ich sehe, halb vier ist. Ich möchte ihn fragen, ob er auch in diesem Falle der Meinung bleibt, daß man das Körperliche als sekundär zu betrachten hat …«
    Noch vorm Tee war er im Verwaltungsbureau. Das gedachte Zimmer, am selben Korridor wie seines gelegen, stand zur Verfügung. Auch für Frau Ziemßen würde sich Unterkunft finden. Er eilte zu Behrens. Er traf ihn im »Labor«, eine Zigarre in der einen Hand, in der anderen ein Reagenzglas mißfarbenen Inhalts.
    »Herr Hofrat, wissen Sie was?« begann Hans Castorp …
    »Ja, daß der Ärger nicht abreißt«, erwiderte der Pneumotom. »Das ist Rosenheim aus Utrecht«, sagte er und wies mit der Zigarre auf das Glas. »Gaffky zehn. Und da kommt Fabrikdirektor Schmitz und zetert und beschwert sich, daß Rosenheim auf der Promenade ausgespuckt hat, – mit Gaffky zehn. Und ich soll ihn rüffeln. Aber wenn ich ihn rüffle, so kriegt er Zustände, denn er ist maßlos irritabel und hat mit

Weitere Kostenlose Bücher