Der Zauberberg
hatte, indessen das hexagonale Unwesen sich so schnell verzog, wie es gekommen? Dann hatte er anerkennenswertes Glück gehabt, unter dem Gesichtspunkt des Heimkommens. Denn zweimal hatte sein Träumen und Fabeln eine Wendung genommen, daß er belebt emporgefahren war: einmal vor Grauen und das zweitemal vor Freude. Es schien, das Leben hatte es gut gemeint mit seinem hochverirrten Sorgenkinde …
Mochte dem nun aber wie immer sein und mochte er Morgen um sich haben oder Nachmittag (ganz ohne Zweifel war es noch immer frühabendlicher Nachmittag): auf jeden Fall lag nichts in den Umständen oder in seinem persönlichen Zustande, was ihn gehindert hätte, nach Hause zu laufen, und das tat denn Hans Castorp, – großzügig, sozusagen in der Luftlinie, fuhr er zu Tal, wo, als er eintraf, schon Lichter brannten, obgleich die Reste von schneebewahrtem Tageslicht ihm unterwegs vollauf genügt hatten. Den Brehmenbühl, am Rande des Mattenwaldes, kam er herunter und war halb sechs in »Dorf«, wo er sein Sportgerät beim Krämer unterstellte, in Herrn Settembrinis Speicherklause Rast machte und ihm Bericht gab, wie er sich nun auch einmal vom Schneesturm habe betreffen lassen. Der Humanist war höchlich erschrocken. Er warf die Hand über den Kopf, schalt weidlich über solchen gefährlichen Leichtsinn und entflammte stehenden Fußes die puffende Spiritusmaschine, dem recht Erschöpften Kaffee zu machen, dessen Stärke nicht hinderte, daß Hans Castorp noch bei ihm im Stuhle in Schlaf fiel.
{751} Die hochzivilisierte Atmosphäre des »Berghofs« umschmeichelte ihn eine Stunde später. Beim Diner griff er gewaltig zu. Was er geträumt, war im Verbleichen begriffen. Was er gedacht, verstand er schon diesen Abend nicht mehr so recht.
Als Soldat und brav
Immer hatte Hans Castorp kurze Nachrichten von seinem Vetter, erst gute, übermütige, dann weniger günstige, endlich solche, die etwas recht Trauriges matt beschönigten. Die Reihe der Postkarten fing an mit der lustigen Meldung von Joachims Dienstantritt und von der schwärmerischen Zeremonie, bei der er, wie Hans Castorp auf seiner Antwortkarte sich ausdrückte, Armut, Keuschheit und Gehorsam gelobt hatte. Dann ging es heiter fort: die Etappen einer glatten, begünstigten Laufbahn, geebnet durch leidenschaftliche Liebe zur Sache und durch die Sympathie der Oberen, wurden grüßend und winkend bezeichnet. Da Joachim ein paar Semester studiert hatte, war er des Besuches der Kriegsschule überhoben, vom Fähnrichsdienst befreit. Neujahr wurde er zum Unteroffizier befördert und schickte eine Photographie, die ihn mit den Tressen zeigte. Das Entzücken an dem Geist der ehrenstraffen, eisern gefügten und dennoch verbissen-humoristisch dem Menschlichen nachgebenden Hierarchie, in die er eingefügt war, leuchtete aus jedem seiner knappen Rapporte. Er gab Anekdoten von dem romantisch-verzwickten Verhalten seines Feldwebels, eines bärbeißigen und fanatischen Soldaten, zu ihm, dem fehlbaren jungen Untergebenen, in dem er jedoch den geweihten Vorgesetzten von morgen sah, welcher tatsächlich schon im Offizierskasino verkehrte. Es war drollig und wild. Dann war von der Zulassung zur Offiziersprüfung die Rede. Anfang April war Joachim Leutnant.
Augenscheinlich gab es keinen glücklicheren Menschen, {752} keinen, dessen Wesen und Wünsche in dieser besonderen Lebensform reiner aufgegangen wären. Mit einer Art von verschämter Wonne erzählte er, wie er zum erstenmal in seiner jungen Pracht am Rathaus vorübergegangen und dem Posten, der zur Ehrenbezeigung stillgestanden sei, aus einiger Entfernung abgewinkt habe. Er berichtete von kleinen Verdrießlichkeiten und Genugtuungen des Dienstes, von glänzend-wohliger Kameradschaft, von der verschmitzten Treue seines Burschen, komischen Zwischenfällen beim Exerzieren und in der Instruktionsstunde, von Besichtigungen und Liebesmahlen. Auch von gesellschaftlichen Dingen, Visiten, Diners, Bällen, war gelegentlich die Rede. Von seiner Gesundheit überhaupt nicht.
Bis gegen den Sommer nicht. Dann hieß es, er hüte das Bett, habe sich leider krank melden müssen: Katarrhfieber, Angelegenheit von ein paar Tagen. Anfang Juni tat er wieder Dienst, aber Mitte des Monats hatte er abermals »schlapp gemacht«, klagte bitter über sein »Pech«, und die Angst brach durch, er möchte etwa zum großen Manöver, Anfang August, auf das er sich von ganzem Herzen freute, nicht auf dem Posten sein. Unsinn, im Juli war er kerngesund, wochenlang, so
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