Der Zauberberg
über ihr Fingerspiel hinweg gerichtet auf die Gefährtinnen, die, lang- und weitgewandet, einzeln, die Arme lächelnd ausgebreitet, und zu Paaren, die Schläfen lieblich aneinander gelehnt, im Tanze schritten, während im Rücken der Flötenden, der weiß und lang und zart und seitlich gerundet war, infolge der Stellung der Arme, andere Schwestern saßen oder umschlungen standen, zuschauend in ruhigem Gespräch. Weiterhin übte sich Jungmannschaft im Bogenschießen. Es war glücklich und freundschaftlich zu sehen, wie Ältere noch Ungeschickte, Lokkige im Spannen der Sehne, im Anlegen unterwiesen, mit ihnen zielten und die vom Rückschlag Taumelnden lachend stützten, wenn der Pfeil schwirrend hinausging. Andere angelten. Sie lagen bäuchlings auf Uferfelsenplatten, mit einem Beine wippend, und hielten die Schnur ins Meer, den Kopf gemächlich plaudernd dem Nachbarn zugewandt, der, in schrägem Sitz den Körper reckend, seinen Köder recht weit hinauswarf. Wieder andere waren beschäftigt, ein hochbordiges Boot mit Mast und Segelstange unter Zerren, Schieben und Stemmen ins Meer zu fördern. Kinder spielten und jauchzten zwischen den Wellenbrechern. Ein junges Weib, lang hingestreckt, hintüber blickend, zog mit der einen Hand das blumige Gewand zwischen den Brüsten hoch, indem sie mit der andren verlangend in die Luft nach einer Frucht mit Blättern griff, die {742} der Schmalhüftige, zu ihren Häupten aufrecht, ihr mit gestrecktem Arme spielend vorenthielt. Man lehnte in Felsennischen, man zögerte am Rande des Bades, indem man kreuzweise mit den Händen die eigenen Schultern hielt und mit der Zehenspitze die Kühle des Wassers prüfte. Paare ergingen sich das Ufer entlang, und am Ohr des Mädchens war dessen Mund, der sie vertraulich führte. Langzottige Ziegen sprangen von Platte zu Platte, überwacht von einem jungen Hirten, der, eine Hand in der Hüfte, mit der andern auf seinen langen Stab gestützt, einen kleinen Hut mit hinten aufgeschlagener Krempe auf braunen Locken, am erhöhten Orte stand.
»Das ist ja reizend!« dachte Hans Castorp von ganzem Herzen. »Das ist ja überaus erfreulich und gewinnend! Wie hübsch, gesund und klug und glücklich sie sind! Ja, nicht nur wohlgestalt – auch klug und liebenswürdig von innen heraus. Das ist es, was mich so rührt und ganz verliebt macht: der Geist und Sinn, so möcht’ ich sagen, der ihrem Wesen zugrunde liegt, in dem sie miteinander sind und leben!« Er meinte damit die große Freundlichkeit und gleichmäßig verteilte höfliche Rücksicht, mit der die Sonnenleute verkehrten: eine leichte und unter Lächeln verborgene Ehrerbietung, die sie einander, unmerklich fast und doch kraft einer deutlich durch alle waltenden Sinnesbindung und eingefleischten Idee, auf Schritt und Tritt erwiesen; eine Würde und Strenge sogar, doch ganz ins Heitere gelöst und einzig als ein unaussprechlicher geistiger Einfluß undüsteren Ernstes, verständiger Frömmigkeit ihr Tun und Lassen bestimmend – wenn auch nicht ohne alles Zeremoniell. Denn dort auf einem runden, bemoosten Steine saß in braunem Kleide, das von der einen Schulter gelöst war, eine junge Mutter und stillte ihr Kind. Und jeder, der vorbei kam, grüßte sie auf eine besondre Art, in welcher sich alles versammelte, was in dem allgemeinen Verhalten der Menschen sich so ausdrucksvoll verschwieg: die Jünglinge, indem sie, sich {743} gegen die Mütterliche wendend, leicht, rasch und formell die Arme über der Brust kreuzten und lächelnd den Kopf neigten, die Mädchen durch das nicht allzu genaue Andeuten einer Kniebeugung, ähnlich dem Kirchenbesucher, der im Vorübergehn vorm Hochaltar sich leichthin erniedrigt. Doch nickten sie mehrmals lebhaft, lustig und herzlich ihr mit dem Kopfe dabei zu, – und diese Mischung von förmlicher Devotion und heiterer Freundschaft, dazu die langsame Milde, mit der die Mutter von ihrem Würmchen, dem sie das Trinken mit in die Brust gedrücktem Zeigefinger bequem machte, aufblickte und den Reverenz Erweisenden mit einem Lächeln dankte, durchdrang Hans Castorp gänzlich mit Entzücken. Er wurde des Schauens nicht satt und fragte sich dennoch beklommen, ob ihm das Schauen denn auch erlaubt sei, ob das Belauschen dieses sonnig-gesitteten Glückes ihn, den Unzugehörigen, der sich unedel und häßlich und plump gestiefelt vorkam, nicht höchlichst strafbar mache.
Es schien unbedenklich. Ein schöner Knabe, dessen volles, seitlich über den Kopf gelegtes Haar vorn über der
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