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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Ihre Bekanntschaft mit Madame ist älter, als die unsrige. Sie haben schon ihren vorigen Aufenthalt an diesem Orte mit ihr geteilt. Außerdem ist sie eine Frau von reizvollsten Eigenschaften, und ich bin nur ein kranker alter Mann. Wie kommt es – Sie ist, da ich unpäßlich bin, heute nachmittag, um Einkäufe zu machen, allein und ohne {915} Begleitung hinab in den Kurort – Kein Unglück! Bei weitem nicht! Nur wäre es zweifellos – Soll ich es dem Einfluß der – wie sagten Sie – der pädagogischen Prinzipien Signor Settembrinis zuschreiben, daß Sie dem ritterlichen Antriebe – Ich bitte, mich aufs Wort zu verstehen …«
    »Aufs Wort, Mynheer Peeperkorn. O nein. Aber ganz und gar nicht. Ich handle absolut selbständig. Im Gegenteil hat mich Herr Settembrini sogar gelegentlich – – Ich sehe da zu meinem Bedauern Weinflecke auf Ihrem Laken, Mynheer Peeperkorn. Sollte man nicht – Wir pflegten Salz darauf zu schütten, solange sie frisch waren –«
    »Das ist unwesentlich«, sprach Peeperkorn, indem er seinen Gast im Auge behielt.
    Hans Castorp verfärbte sich.
    »Die Dinge«, sagte er mit falschem Lächeln, »liegen hier doch etwas anders als gewöhnlich. Der Ortsgeist, möchte ich es ausdrücken, ist nicht der konventionelle. Das Vorrecht hat der Kranke, ob Mann oder Frau. Die Vorschriften der Ritterlichkeit treten dagegen zurück. Sie sind vorübergehend unpäßlich, Mynheer Peeperkorn, – eine akute Unpäßlichkeit, eine Unpäßlichkeit von Aktualität. Ihre Reisebegleiterin ist vergleichsweise gesund. Da glaube ich ganz im Sinne von Madame zu handeln, wenn ich sie in ihrer Abwesenheit ein bißchen bei Ihnen vertrete – soweit hier von Vertretung die Rede sein kann, ha, ha: – statt umgekehrt Sie bei ihr zu vertreten und ihr meine Begleitung in den Ort hinunter anzubieten. Wie käme ich auch wohl dazu, Ihrer Reisebegleiterin meine Ritterdienste aufzudrängen? Dazu habe ich gar keinen Rechtstitel und kein Mandat. Ich darf sagen, daß ich viel Sinn für positive Rechtsverhältnisse habe. Kurzum, meine Situation, finde ich, ist korrekt, sie entspricht der allgemeinen Sachlage, sie entspricht namentlich meinen aufrichtigen Empfindungen für Ihre Person, Mynheer Peeperkorn, und somit glaube ich auf Ihre Frage – denn Sie {916} richteten wohl eine Frage an mich – eine befriedigende Antwort erteilt zu haben.«
    »Eine sehr angenehme«, erwiderte Peeperkorn. »Ich lausche mit unwillkürlichem Vergnügen auf Ihr behendes kleines Wort, junger Mann. Es springt über Stock und Stein und rundet die Dinge zur Annehmlichkeit. Allein befriedigend, – nein. Ihre Antwort befriedigt mich nicht ganz, – verzeihen Sie, wenn ich Ihnen damit eine Enttäuschung bereite. ›Rigoros‹, lieber Freund, Sie brauchten dies Wort vorhin in Hinsicht auf gewisse von mir geäußerte Anschauungen. Aber auch in Ihren Äußerungen liegt eine gewisse Rigorosität, eine Strenge und Gezwungenheit, die mir mit Ihrer Natur nicht übereinzustimmen scheint, obgleich sie mir aus Ihrem Verhalten in gewisser Beziehung bekannt ist. Ich erkenne sie wieder. Es ist die nämliche Gezwungenheit, die Sie bei unseren gemeinsamen Unternehmungen, unseren Spaziergängen gegen Madame – gegen sonst niemanden – an den Tag legen, und für die Sie mir eine Erklärung – das ist eine Schuld, eine Schuldigkeit, junger Mann. Ich irre mich nicht. Die Beobachtung hat sich mir zu oft bestätigt, und es ist unwahrscheinlich, daß sie sich nicht auch anderen aufgedrängt haben sollte, mit dem Unterschiede, daß diese anderen sich möglicherweise, ja wahrscheinlich im Besitz der Erklärung des Phänomens befinden.«
    Mynheer sprach in ungewöhnlich präzisem und geschlossenem Stil heute nachmittag, trotz seiner Erschöpfung durch den malignen Anfall. Es fehlte fast jede Abgerissenheit. Im Bette halb sitzend, die mächtigen Schultern, das großartige Haupt gegen den Besucher gewandt, hielt er den einen Arm über der Bettdecke ausgestreckt, und seine sommersprossige Kapitänshand, aufrecht stehend am Ende des Wollärmels, bildete den von den Fingerlanzen überragten Exaktheitsring, während sein Mund die Worte so scharf und genau, ja plastisch bildete, wie Herr Settembrini es nur hätte wünschen können, mit geroll {917} tem Kehl-r in Wörtern wie »wahrscheinlich« und »aufgedrängt«.
    »Sie lächeln,« fuhr er fort, »Sie drehen blinzelnd den Kopf hin und her, Sie scheinen sich eines ergebnislosen Nachdenkens zu befleißigen.

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