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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Stimmung. In reinen und wohlgeformten Worten jammerte er über die Kälte, die Nässe, unter der er so bitter litt. Wenn wenigstens geheizt würde! Aber diese elenden Machthaber ließen die Heizung ja ausgehen, sobald es zu schneien aufhöre, – eine stumpfsinnige Regel, ein Hohn auf alle Vernunft! Und als Hans Castorp einwandte, er denke sich, daß eine mäßige Zimmertemperatur wohl zu den Kurprinzipien gehöre, – man wolle einer Verwöhnung der Patienten offenbar damit vorbeugen, da antwortete Settembrini mit dem heftigsten Spott. Ei, in der Tat, die Kurprinzipien. Die hehren und unantastbaren Kurprinzipien! Hans Castorp spreche wahrhaftig in dem richtigen Tone von ihnen, nämlich in dem der Religiosität und der Unterwürfigkeit. Nur auffallend – wenn {147} auch in einem durchaus erfreulichen Sinne auffallend, – daß gerade diejenigen unter ihnen so unbedingte Verehrung genössen, die mit den ökonomischen Interessen der Gewalthaber genau übereinstimmten, – während man denen gegenüber, bei denen dies weniger zutreffe, ein Auge zuzudrücken geneigt sei … Und während die Vettern lachten, kam Settembrini auf seinen verstorbenen Vater zu sprechen, im Zusammenhang mit der Wärme, nach der er sich sehnte.
    »Mein Vater,« sagte er gedehnt und schwärmerisch, – »er war ein so feiner Mann, – empfindlich am Körper wie an der Seele! Wie liebte er im Winter sein kleines, warmes Studierstübchen, von Herzen liebte er es, stets mußten zwanzig Grad Réaumur darin herrschen, vermöge eines rotglühenden Öfchens, und wenn man an naßkalten Tagen oder an solchen, wenn der schneidende Tramontanawind ging, vom Flure des Häuschens her eintrat, so legte die Wärme sich einem wie ein linder Mantel um die Schultern, und die Augen füllten sich mit wohligen Tränen. Vollgepfropft war das Stübchen mit Büchern und Handschriften, worunter sich große Kostbarkeiten befanden, und zwischen den Geistesschätzen stand er in seinem Schlafrock aus blauem Flanell am schmalen Pult und widmete sich der Literatur, – zierlich und klein von Person, einen guten Kopf kleiner als ich, stellen Sie sich vor! aber mit dicken Büscheln aus grauem Haar an den Schläfen und einer Nase, so lang und fein … Welch ein Romanist, meine Herren! Einer der Ersten seiner Zeit, ein Kenner unserer Sprache wie wenige, ein lateinischer Stilist wie sonst keiner mehr, ein uomo letterato nach Boccaccios Herzen … Von weither kamen die Gelehrten, um sich mit ihm zu besprechen, der eine aus Haparanda, ein anderer aus Krakau, sie kamen ausdrücklich nach Padua, unserer Stadt, um ihm Hochachtung zu erweisen, und er empfing sie mit freundlicher Würde. Auch ein Dichter von Distinktion war er, welcher in seinen Mußestunden Erzählungen in der ele {148} gantesten toskanischen Prosa verfaßte, – ein Meister des idioma gentile«, sagte Settembrini mit äußerstem Genuß, indem er die heimatlichen Silben langsam auf der Zunge zergehen ließ und den Kopf dabei hin und her bewegte. »Sein Gärtchen baute er nach dem Beispiele Vergils,« fuhr er fort, »und was er sprach, war gesund und schön. Aber warm, warm mußte er es haben in seinem Stübchen, sonst zitterte er und konnte wohl Tränen vergießen vor Ärger, daß man ihn frieren ließ. Und nun stellen Sie sich vor, Ingenieur, und Sie, Leutnant, was ich, der Sohn meines Vaters, an diesem verdammten und barbarischen Orte leiden muß, wo der Körper im hohen Sommer vor Kälte zittert und erniedrigende Eindrücke beständig die Seele foltern! Ach, es ist hart! Welche Typen, die uns umgeben! Dieser närrische Teufelsknecht von Hofrat. Krokowski« – und Settembrini tat, als müsse er sich die Zunge zerbrechen – »Krokowski, dieser schamlose Beichtvater, der mich haßt, weil meine Menschenwürde mir verbietet, mich zu seinem pfäffischen Unwesen herzugeben … Und an meinem Tische … Welche Gesellschaft, in der ich zu speisen gezwungen bin! Zu meiner Rechten sitzt ein Bierbrauer aus Halle – Magnus ist sein Name – mit einem Schnurrbart, der einem Heubündel ähnelt. ›Lassen Sie mich mit der Literatur in Ruhe!‹ sagt er. ›Was bietet sie? Schöne Charaktere! Was fang ich mit schönen Charakteren an! Ich bin ein praktischer Mann, und schöne Charaktere kommen im Leben fast gar nicht vor.‹ Dies ist die Vorstellung, die er sich von der Literatur gebildet hat. Schöne Charaktere … o Mutter Gottes! Seine Frau, ihm gegenüber, sitzt da und verliert Eiweiß, während sie mehr und

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