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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Bluse befestigen ließ, und der Wulstlippige, zu Frau Salomons Füßen sitzend, plauderte gedrehten Halses zu ihr empor, indes der dünnhaarige Pianist ihr von hinten unverwandt in den Nacken blickte.
    Die Ärzte kamen und mischten sich unter die Kurgesellschaft, Hofrat Behrens in weißem und Dr. Krokowski in schwarzem Kittel. Sie gingen die Reihe der Tischchen entlang, wobei der Hofrat beinahe an jedem ein gemütliches Witzwort fallen ließ, so daß ein Kielwasser heiterer Bewegung seinen Weg bezeichnete, und stiegen dann zur Jugend hinab, deren weiblicher Teil sich sofort mit Wippen und schrägen Blicken um Dr. Krokowski scharte, während der Hofrat dem Sonntage zu Ehren der Herrenwelt das Kunststück mit seinem Schnürstiefel zeigte: er setzte seinen gewaltigen Fuß auf eine höhere Stufe, löste die Bänder, ergriff sie nach einer besonderen Praktik mit einer Hand und wußte sie, ohne die andere zu Hilfe zu nehmen, mit solcher Fertigkeit kreuzweise einzuhaken, daß alle sich wunderten und mehrere umsonst versuchten, es ihm gleichzutun.
    Später erschien auch Settembrini auf der Terrasse, – er kam, auf seinen Spazierstock gestützt, aus dem Speisesaal, auch heute in seinem Flaus und seinen gelblichen Hosen, mit feiner, geweckter und kritischer Miene, sah sich um und näherte sich dem Tische der Vettern, indem er »Ah, bravo!« sagte und um die Erlaubnis bat, sich zu ihnen setzen zu dürfen.
    »Bier, Tabak und Musik«, sagte er. »Da haben wir Ihr Vaterland! Ich sehe, Sie haben Sinn für nationale Stimmung, Ingenieur. Sie sind in Ihrem Elemente, das freut mich. Lassen Sie mich etwas teilnehmen an der Harmonie Ihres Zustandes!«
    Hans Castorp nahm seine Züge zusammen, – hatte es schon getan, als er des Italieners nur ansichtig geworden war. Er sagte:
    »Sie kommen aber spät zum Konzert, Herr Settembrini, es muß ja bald aus sein. Hören Sie nicht gern Musik?«
    {173} »Nicht gern auf Kommando«, erwiderte Settembrini. »Nicht nach dem Wochenkalender. Nicht gern, wenn sie nach Apotheke riecht und mir von oben herab aus sanitären Gründen zugemessen wird. Ich halte ein wenig auf meine Freiheit oder doch auf jenen Rest von Freiheit und Menschenwürde, der unsereinem übrigbleibt. Bei solchen Veranstaltungen hospitiere ich, wie Sie im großen bei uns hospitieren, – ich komme auf eine Viertelstunde und gehe wieder meiner Wege. Das gibt mir die Illusion der Unabhängigkeit … Ich sage nicht, daß es mehr ist, als eine Illusion, aber was wollen Sie, wenn sie mir eine gewisse Genugtuung bereitet! Mit Ihrem Vetter, das ist etwas anderes. Für ihn ist es Dienst. Nicht wahr, Leutnant, Sie betrachten es als zum Dienst gehörig. Oh, ich weiß, Sie kennen den Trick, in der Sklaverei Ihren Stolz zu bewahren. Ein verwirrender Trick. Nicht jedermann in Europa versteht sich darauf. Musik? Fragten Sie nicht, ob ich mich als Liebhaber der Musik bekenne? Nun, wenn Sie ›Liebhaber‹ sagen« (eigentlich entsann Hans Castorp sich nicht, so gesagt zu haben), »der Ausdruck ist nicht übel gewählt, er hat einen Anflug zärtlicher Leichtfertigkeit. Gut denn, ich schlage ein. Ja, ich bin ein Liebhaber der Musik, – womit nicht gesagt sein soll, daß ich sie sonderlich achte, – so etwa, wie ich das Wort achte und liebe, den Träger des Geistes, das Werkzeug, die glänzende Pflugschar des Fortschritts … Musik … sie ist das halb Artikulierte, das Zweifelhafte, das Unverantwortliche, das Indifferente. Vermutlich werden Sie mir einwenden, daß sie klar sein könne. Aber auch die Natur kann klar sein, auch ein Bächlein kann klar sein, und was hilft uns das? Es ist nicht die wahre Klarheit, es ist eine träumerische, nichtssagende und zu nichts verpflichtende Klarheit, eine Klarheit ohne Konsequenzen, gefährlich deshalb, weil sie dazu verführt, sich bei ihr zu beruhigen … Lassen Sie die Musik die Gebärde der Hochherzigkeit annehmen. Gut! Sie wird damit unser Gefühl entflammen. Es kommt jedoch darauf {174} an, die Vernunft zu entflammen! Die Musik ist scheinbar die Bewegung selbst, – gleichwohl habe ich sie im Verdachte des Quietismus. Lassen Sie mich die Sache auf die Spitze stellen: Ich hege eine politische Abneigung gegen die Musik.«
    Hier konnte Hans Castorp nicht umhin, sich aufs Knie zu schlagen und auszurufen, so etwas habe er denn doch in seinem Leben noch nicht gehört.
    »Ziehen Sie es trotzdem in Erwägung!« sagte Settembrini lächelnd. »Die Musik ist unschätzbar als letztes Begeisterungsmittel,

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