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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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sie des Vortrages auch nachher mit keinem Worte.

Zweifel und Erwägungen
    Am Dienstag war unser Held nun also seit einer Woche bei Denen hier oben, und so fand er denn, als er vom Morgenspaziergang zurückkehrte, in seinem Zimmer die Rechnung {200} vor, seine erste Wochenrechnung, ein reinlich ausgeführtes kaufmännisches Dokument, in einen grünlichen Umschlag verschlossen, mit illustriertem Kopf (das Berghofgebäude war bestechend abgebildet dort oben) und links seitwärts geschmückt mit einem in schmaler Kolonne angeordneten Auszuge aus dem Prospekt, worin auch der »psychischen Behandlung nach modernsten Prinzipien« in Sperrdruck Erwähnung geschah. Die kalligraphischen Aufstellungen selbst betrugen ziemlich genau 180 Franken, und zwar entfielen auf die Verpflegung nebst ärztlicher Behandlung 12 und auf das Zimmer 8 Franken für den Tag, ferner auf den Posten »Eintrittsgeld« 20 Franken und auf die Desinfektion des Zimmers 10 Franken, während kleinere Sporteln für Wäsche, Bier und den zum ersten Abendessen genossenen Wein die Summe abrundeten.
    Hans Castorp fand nichts zu beanstanden, als er mit Joachim die Addition überprüfte. »Ja, von der ärztlichen Behandlung mache ich keinen Gebrauch,« sagte er, »aber das ist meine Sache; sie ist einbegriffen in den Pensionspreis, und ich kann nicht verlangen, daß sie in Abzug gebracht wird, wie sollte das auch geschehen? Bei der Desinfektion machen sie einen Schnitt, denn für 10 Franken H 2 CO können sie unmöglich verpulvert haben, um die Amerikanerin auszuräuchern. Aber im ganzen muß ich sagen, ich finde es eher billig als teuer, in Anbetracht dessen, was geboten wird.« Und so gingen sie denn vor dem zweiten Frühstück auf die »Verwaltung«, um die Schuld zu bereinigen.
    Die »Verwaltung« befand sich zu ebener Erde: wenn man, jenseits der Halle, an der Garderobe und den Küchen- und Anrichteräumen vorüber den Flurgang verfolgte, konnte man die Tür nicht verfehlen, zumal sie durch ein Porzellanschild ausgezeichnet war. Hans Castorp gewann dort mit Interesse einen gewissen Einblick in das kaufmännische Zentrum des Anstaltsbetriebes. Es war ein richtiges kleines Kontor: ein {201} Schreibmaschinenfräulein war tätig, und drei männliche Angestellte saßen über Pulte gebückt, während im anstoßenden Raum ein Herr von dem höheren Ansehen eines Chefs oder Direktors an einem frei stehenden Zylinderbureau arbeitete und nur über sein Augenglas hinweg einen kalten und sachlich musternden Blick auf die Klienten warf. Während man sie am Schalter abfertigte, einen Schein wechselte, kassierte, quittierte, bewahrten sie eine ernst-bescheidene, schweigsame, ja botmäßige Haltung, wie junge Deutsche, die die Achtung vor der Behörde, der Amtsstube auf jedes Schreib- und Dienstlokal übertragen; aber draußen, auf dem Wege zum Frühstück und später im Laufe des Tages plauderten sie einiges über die Verfassung des Berghof-Instituts, wobei Joachim als der Eingesessene und Kundige die Fragen seines Vetters beantwortete.
    Hofrat Behrens war keineswegs Inhaber und Besitzer der Anstalt, – obgleich man wohl diesen Eindruck gewinnen konnte. Über und hinter ihm standen unsichtbare Mächte, die sich eben nur in Gestalt des Bureaus bis zu einem gewissen Grade manifestierten: ein Aufsichtsrat, eine Aktiengesellschaft, der anzugehören nicht übel sein mochte, da sie nach Joachims glaubwürdiger Versicherung trotz hoher Ärztegehälter und liberalster Wirtschaftsprinzipien alljährlich eine saftige Dividende unter ihre Mitglieder verteilen konnte. Der Hofrat also war kein selbständiger Mann, er war nichts als ein Agent, ein Funktionär, ein Verwandter höherer Gewalten, der erste und oberste freilich, die Seele des Ganzen, von bestimmendem Einfluß auf die gesamte Organisation, die Intendantur nicht ausgeschlossen, obgleich er als dirigierender Arzt über jede Beschäftigung mit dem kaufmännischen Teil des Betriebes natürlich erhaben war. Aus dem Nordwesten Deutschlands gebürtig, war er, wie man wußte, wider Absicht und Lebensplan vor Jahren in diese Stellung gelangt: heraufgeführt durch seine Frau, deren Reste schon längst der Friedhof von »Dorf« umfing,  {202} – der malerische Friedhof von Dorf Davos dort oben am rechtsseitigen Hange, weiter zurück gegen den Eingang des Tales. Sie war eine sehr liebliche, wenn auch überäugige und asthenische Erscheinung gewesen, den Photographien nach zu urteilen, die überall in des Hofrats Dienstwohnung

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