Der Zaubercode
zurück in Blaises Arbeitszimmer. Ihr Brustkorb zog sich in dieser vertrauten Umgebung zusammen. Sie hatten hier so viel Zeit miteinander verbracht, hatten neue Zauber ausprobiert und neue Methoden zum Kodieren entwickelt. Hier hatte sie den Deutungsstein erfunden und auch die vereinfachte Geheimsprache, mit der er benutzt wurde — eine Entdeckung, die die gesamte Zauberei verändert hatte.
Vielleicht sollte sie jetzt gehen. Offensichtlich war Blaise nicht zu Hause und Augusta fühlte sich nicht länger wohl dabei, auf diese Weise in seine Privatsphäre einzudringen.
Sie drehte sich um und begann, aus dem Zimmer zu gehen, als ihr Blick auf eine offene Ansammlung von Rollen fiel, die ihre Aufmerksamkeit erregten. Sie waren alt und aufwendig, erinnerten sie an die Art von Schriften, die sie in der Bibliothek von Dania, einem anderen Ratsmitglied, gesehen hatte. Als ob ihre Füße einen eigenen Willen hätten, fühlte Augusta wie sie sich den Rollen näherte und eine aufnahm.
Zu ihrer Überraschung erkannte sie, dass diese Rollen von Lenard dem Großen geschrieben worden waren — sie sie aber noch niemals zuvor gesehen hatte. Sie und Blaise hatten alles gelesen, was der große Zauberer geschrieben hatte; ohne diese Wissensgrundlage von Lenard und seiner Studenten wären sie niemals in der Lage gewesen, den Deutungsstein und die dazugehörige magische Sprache zu entwickeln. Sie hätte schon vorher auf diese Rollen stoßen müssen, und die Tatsache, sie jetzt gerade zum ersten Mal zu sehen, war unglaublich.
Augusta überflog sie ungläubig und verstand das Ausmaß des Wissens, welches Blaise vor der Welt geheim gehalten hatte. Diese alten Rollen beinhalteten die Theorien, auf denen die verbalen Zaubersprüche Lenards basierten — die Theorien, die einen kleinen Einblick in die Natur der Zauberdimension gaben.
Warum hatte Blaise niemandem davon erzählt? Jetzt war ihre ganze Neugier entfacht und sie griff nach einem weiteren Stapel Aufzeichnungen, die auf dem Schreibtisch lagen.
Es waren seine Arbeitsaufzeichnungen, erkannte sie sofort — Blaises Niederschriften seiner Arbeit.
Fasziniert blätterte Augusta durch die Papiere und begann zu lesen.
Und während sie las, merkte sie, wie sich ihre Nackenhaare aufstellten. Was diese Aufzeichnungen beinhalteten war so furchtbar, dass sie kaum ihren Augen glauben konnte.
Sie legte die Schriften weg und blickte sich hektisch im Arbeitszimmer um, wollte sich selbst davon überzeugen, dies könne nicht wahr sein — dies seien nur die Wahnvorstellungen eines Verrückten. Ihr Blick fiel auf die Momentaufnahmen-Sphäre und sie sah eine einzige Perle darin funkeln.
Mit zitternder Hand griff sie danach, schob sie sich in den Mund und ließ sich in das Erlebnis fallen.
* * *
Blaise saß in seinem Zimmer und konnte nicht aufhören an Gala zu denken — an seine wunderbare, wunderschöne Kreation. Er schloss seine Augen und sah sie vor sich — ihre perfekten Gesichtszüge, die tiefgehende Intelligenz, die in ihren geheimnisvollen blauen Augen funkelte. Er fragte sich, was sie wohl werden würde. Jetzt war sie noch wie ein Kind, alles war neu für sie, aber er konnte schon das Potenzial ihrer Intelligenz und ihrer Fähigkeiten erkennen, alles zu überbieten, was die Welt jemals gesehen hatte.
Ihre Anziehung auf ihn war genauso erstaunlich wie sie beängstigend war. Sie war seine Schöpfung. Wie konnte er solche Gefühle für sie haben? Selbst bei Augusta hatte er nicht sofort diese Art der Verbindung empfunden.
Er versuchte diese Gedanken wegzuschieben und seine Aufmerksamkeit wieder ihrer faszinierenden Herkunft zuzuwenden. Die Art und Weise, wie sie die Zauberdimension beschrieben hatte, war faszinierend; er würde alles geben, um diese Wunder mit eigenen Augen zu sehen.
Vielleicht gab es ja einen Weg. Trotz allem, waren Galas Gedanken sehr menschlich, und sie konnte hier überleben ...
* * *
Nach Luft schnappend kam Augusta wieder zu sich. Sie atmete schwer und schaute sich im Arbeitszimmer um, versuchte das zu verarbeiten, was sie eben gesehen hatte. Was hatte Blaise getan? Was für ein Monster hatte er erschaffen?
Das war ein Desaster epischen Ausmaßes. Wenn Augusta das richtig verstand, hatte Blaise eine nicht menschliche Intelligenz erschaffen. Ein unnatürliches Wesen, welches niemand — nicht einmal Blaise — verstehen konnte. Was würde diese Kreatur wollen? Zu was würde sie fähig sein?
Ungewollt musste Augusta an ein altes Märchen
Weitere Kostenlose Bücher